Eine Weltumrundung mit dem Vaporetto
Eine Weltumrundung mit dem Vaporetto
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TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR chefredaktion@art-magazin.de -

Litauen gewann mit der Strandoper »Sun & Sea (Marina)« den Goldenen Löwen -

Gehörte zu den Favoriten: der französische Pavillon von Laure Prouvost -

Perfektes Debüt: El Anatsui im Pavillon von Ghana
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
genau drei heiße Favoriten für den Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon gab es diesmal: die herrlich verrückt-surreale Inszenierung von Laure Prouvost für Frankreich, die All-Star-Show mit Felicia Abban, John Akomfrah, El Anatsui, Ibrahim Mahama, Selasi Awusi Sosu und Lynette Yiadom-Boakye in der Lehmarchitektur von David Adjaye für Ghana und die Strandoper von Rugilė Barzdžiukaitė, Vaiva Grainytė und Lina Lapelytė für Litauen. Egal, welchen Kritikerkollegen, Galeristen, Künstler, Sammler oder Museumsmenschen man fragte, mit denen wir gemeinsam in den Eröffnungstagen der BIENNALE über den Festivalparcours von Venedig jagten: Das waren die Kandidaten – aber keiner der anderen 84 offiziellen Länderbeiträge, die sich im Kunstgarten der Giardini, in den langen Fluchten des Arsenale oder verstreut in den Palazzi, Lagerhallen, ehemaligen Ladengeschäften und verlassenen Privatwohnungen überall in der Stadt finden.
Eigentlich ist diese Einmütigkeit erstaunlich, heißt es doch immer, es gebe keine Kriterien mehr, um die Kunst zu beurteilen. Und erstaunlich auch deshalb, weil sich in den vergangenen Jahrzehnten zwar kein gemeinsamer Stil herausgebildet hat, aber die Thematik fast flächendeckend politisch ist. Kaum ein Pavillon, in dem es nicht wenigstens versteckt um Klimawandel, Globalisierung, Rassismus, Digitalisierung oder Genderthemen geht. Das klingt anstrengend?
Ist es nicht! Denn anders als auf der vergangenen DOCUMENTA bleibt der pädagogische Zeigefinger in Venedig gnädig eingefahren. Es bleibt viel Raum für Poesie, Humor und Schönheit, der die Weltumrundung mit dem Vaporetto auch diesmal zum großen Vergnügen macht. Die VENEDIG-BIENNALE ist ein Fest der Vielstimmigkeit und der 100 Perspektiven auf die eine Welt, das Entdeckergeist und die Offenheit verlangt, sich immer wieder neu einzulassen.
Wir haben für dieses ART-Spezial alles angeschaut, was Venedig in diesem Sommer bietet, und für Sie in diesem Heft unseren großen Rundgang zu den Höhepunkten und Aufregern zusammengestellt. Sie sollten mindestens drei Tage für die schönste Kunstreise des Jahres einplanen. Sie kommen auf jeden Fall reicher zurück!
Übrigens: Dass die Litauer gewonnen haben, geht völlig in Ordnung, auch wenn ich Ghana die Daumen gedrückt habe, das gleich beim Debüt in Venedig einen so hochklassigen und coolen Auftritt hingelegt hat…
PS: Meine persönlichen Highlights abseits von zentraler Ausstellung und Länderpavillons: die fantastische Retrospektive von Jannis Kounellis in der FONDAZIONE PRADA und der Antikentempel im Palazzo Grimani: Nicht verpassen!