Paul Klee: Der Buddha vom Bauhaus

Paul Klee, der rote Ballon, 1922, Guggenheim Museum

Er gilt als der große Geheimnisvolle unter den deutschen Künstlern: weltentrückt und weise. Die Münchner Pinakothek der Moderne versucht Paul Klee nun als Menschen und Maler fassbar zu machen – ganz konkret, im Hier und Jetzt

Text: Tanja Beuthien

Oben, hoch über den Wolken, thront er: die Beine gekreuzt, die Hände gefaltet, den Blick nachdenklich in die Ferne gerichtet. Die tief liegenden schwarzen Augen lassen ihn wirken wie einen Weisen, einen Schamanen, einen Gott. Ende der zwanziger Jahre zeichnet der Kunstkritiker Ernst Kállai diese Karikatur von Paul Klee. Der entrückte Künstler schwebt über dem bauhaus. Neben dem knien zwei Schülerinnen und beten ihn an.

»Bauhausbuddha« nennen ihn schon damals die Meister und Schüler. Oskar Schlemmer bewundert die »Bombenruhe«, aus der heraus sein Kollege Klee arbeitet: »Dem kann keiner nix.« Stundenlang sitzt er in seinem Atelier, starrt auf die Leinwand und lässt sich inspirieren. Er schweigt, ergreift keine Partei, antwortet nur mit Ja oder Nein. Und manchmal auch gar nicht. »Diesseitig bin ich gar nicht fassbar«, sagt Klee über sich selbst.

Und genau das ist das Problem. In München arbeitet sich aktuell Oliver Kase, Sammlungsleiter für die Klassische Moderne, an der Herausforderung ab, Paul Klee »diesseitig fassbar« zu machen. »Konstruktion des Geheimnisses« heißt die große Schau mit über 120 Leihgaben – der gesamte Westflügel des Obergeschosses der Pinakothek der Moderne wird dafür umgebaut. Der Schwerpunkt liegt auf Klees Jahren am bauhaus in Weimar und Dessau. Der große Schweiger soll endlich zum Reden gebracht werden. »Mich interessiert: Wie verhält sich das freie künstlerische Werk Paul Klees zu den Herausforderungen seiner Zeit? Und, vor allem, zur Existenzkrise der Malerei?«, sagt Kase. Denn die bedroht die Künstler in den zwanziger Jahren massiv.

»Das bauhaus mit seinen Affairen ist ein unerfreuliches und kompliziertes Ding«, schreibt Oskar Schlemmer und schätzt: »Gropius wünscht sich heute am liebsten seine Maler zum Teufel.« Auch Ise, Gropius’ Ehefrau, befindet 1927 in einem Tagebucheintrag: »Die Zeit der Maler am Bauhaus scheint wirklich vorbei zu sein, sie sind dem eigentlichen Kern der jetzigen Arbeit entfremdet und wirken fast hemmend statt fördernd.« Neben Klee arbeiteten Ende der zwanziger Jahre Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer und Wassily Kandinsky am Bauhaus. Die Vorreiter der Avantgarde – ein Hemmschuh der Moderne?

Die Welt ändert sich rasant: Film und Fortschritt, Verkehr und Geschwindigkeit, Rationalisierung und Formalisierung sind die Schlagworte der Zeit. Die Wissenschaft präsentiert Röntgen- und Mikroskopie-Aufnahmen – alles scheint möglich, nichts ist mehr gültig. Am Bauhaus bündeln sich diese Konflikte wie im Brennglas: Hier treffen Erneuerer und Traditionalisten ungebremst aufeinander. Als der streitlustige Konstruktivist László Moholy-Nagy 1923 zum Bauhaus-Meister berufen wird, ist es aus mit der genialischen Malerei.

»Immer und immer wird von Kino, Optik, Mechanik, Projektion und Fortbewegung geredet«, schreibt Lyonel Feininger seiner Frau Julia. »Ist das eine Atmosphäre, in der Maler wie Klee und einige von uns weiter machen können? Klee war gestern ganz beklommen, als er von Moholy sprach.« Zu Recht: »Das traditionelle Bild ist historisch geworden«, so Moholy-Nagy – es tauge allenfalls noch zur Form- und Farbgestaltung.

Wie also reagiert der sensible Künstler Paul Klee auf all diese Querelen, Lästereien, Intrigen? Auf den massiven Angriff der Moderne gegen die traditionelle Malerei? Auf die Attacken der Technikbegeisterten gegen die Schwärmer der Intuition? Mitten im Zentrum der modernen Bewegung, mitten im Wirbel von Technik und Erneuerung sitzt er, Buddha gleich, – und malt Bilder, wie Das Abenteurerschiff.

Auf dem Packtisch im Lagerraum der Pinakotheken liegt es da, ungerahmt, unverglast und nackt – frisch aus der staatlichen Graphischen Sammlung zur Vorbereitung für die Ausstellung. Die blauen Aquarellfarben leuchten intensiv, wie neu. Ein Gemälde in »Kinderästhetik«, wie Kurator Kase sagt. Es zeigt ein großes Segelschiff mit Takelage, Masten, Segeln, mit roten und gelben Fahnen, Leitern, Bullaugen, Steuerrad. Und winzig kleinen Piraten. Versteckte, scheinbar sinnlose Buchstabenfolgen wie »MBM« und »ANTR« geben Rätsel auf. Rote Pfeile zeigen die Fahrtrichtung an.

»Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar«, ist Klees Credo. Das Schiff, uralte Metapher für Übergang und Transzendenz, gezeigt als Kinderspiel. Poetisch, rätselhaft, ironisch – ein Bild, das 1927 ganz und gar dem Bauhaus-Ethos von klarer Gestaltung und Sachlichkeit widerspricht. Und doch schafft Klee hier die Balance: Die Bauhaus-Farben Blau, Rot, Gelb, über die er sich ansonsten gern mokiert, sind in den Fahnen gehisst. Die Farben des Meeres sind in Spritztechnik aufgetragen, also nicht indi- viduell von Hand, sondern standardisiert mit Bürsten und Schablonen. Das Verfahren kommt aus der Reklameherstellung – die Handschrift des Malers soll dadurch eliminiert werden. Und das Schiff, die Fische, selbst die Piraten wirken durchsichtig, dem Steuermann schaut man sogar bis in Magen und Schlund, wie von einem Röntgengerät durchleuchtet. Macht sich hier einer über den verbissenen Modernisierungszwang lustig? Oder lässt er spielerisch neue Einflüsse und Ideen in sein eigenes Werk mit einfließen? »Klee war immer der perfekte Diplomat«, sagt Kase. Er arbeitet mit den Elementen der Fantasie und des Traums und findet trotzdem den Raum für neue Gestaltungsmöglichkeiten. Er verändert seine Technik, behält aber romantische Motive bei.

In seinem Werk Gerüst eines Neubaus etwa zeigt er die Vision eines Gebäudes, vielleicht eines Ateliers. Zu sehen ist ein zartes Gerüst aus Linien und Strichen. Dahinter verschwimmen Farben im Nichts. Das Bild liegt auf dem Tisch der Restauratorin Maike Grün, die für die Pinakothek der Moderne im Vorfeld der Ausstellung die Arbeitstechniken Klees untersucht. Auffallend hier: Die zarten Linien sind nicht gemalt, sondern aufgestempelt, vielleicht mit einem Stück Pappe, manchmal auch mit einem Nagel. Klee industrialisiert den Malprozess, nimmt auch hier den künstlerischen Duktus zurück. Gleichzeitig aber weist das Papier Knicke auf, und das nicht zufällig: Was andere in den Papierkorb befördern würden, bearbeitet Klee nach langer Überlegung sorgfältig. Für ihn sind das »inspirierende Blätter«, sagt Maike Grün.

Die Fantasie bleibt also der Ausgangspunkt seiner Arbeit. Doch im Rahmen der Bauhaus-Gestaltungsregeln entwickelt Klee verschiedene Leitmotive für seine Kunst: Geometrische Formen wie Kreise, Rauten, Pfeile, die immer wieder in seinen Bildern auftauchen. Allerdings verwandeln sie sich in seinem Zauberreich in magische Dinge: Kreise etwa werden zu Monden, wie in seinem Werk Gelehrter im Umgang mit Gestirnen (1926). Die Stufen und Treppen, wie im Gerüst eines Neubaus, stehen bei ihm immer als Symbol für den Aufstieg in transzendente Welten. Auch ein Pfeil, wie im Abenteurerschiff, ist nie nur ein Richtungsweiser, sondern verweist auf den Übergang vom Irdischen zum Überirdischen.

Klee spielt mit seiner Aura als Philosoph, mit direktem Zugang zu geistigen Welten. In kryptischen Selbstporträts wie Die Maske mit dem Fähnchen oder Die Idee der Türme inszeniert er sich als Schöpfergott. Auch im wirklichen Leben wirkt er wie ein Mystiker. Zeitgenossen berichten von seinen dunklen, tief lie-genden Augen, die irgendwie »orientalisch« wirkten – Anlass für Klee, den gebürtigen Schweizer, sich eine orientalische Abstammung zu erfinden. »Als Mensch bekommt man ihn nicht zu fassen«, so Kurator Kase.

Dabei hat Klee eine durchaus bodenständige Seite. Als 1907 sein Sohn Felix geboren wird, sorgt er als Hausmann für die Familie. Seine Frau Lily, eine ausgebildete Pianistin, finanziert den Lebensunterhalt mit Klavierstunden. Während Lily im Wohnzimmer ihre Schüler empfängt, malt und zeichnet Klee in der Küche in München-Schwabing, das Kind kritzelt auf dem Fußboden vor sich hin.

Überliefert ist die Anekdote, dass Klee abwechselnd den Pinsel in die Farbe tunkt und, wieder umgedreht, mit dem Stiel im Kochtopf rührt. Der durchgeistigte Künstler erweist sich als begeisterter Koch. Überliefert ist sein Rezept für Lungenragout mit Meerrettich und Petersilie (siehe links), außerdem schwärmt er für Risotto und Innereien. Als er in Weimar von Schlemmer am Bahnhof abgeholt wird, erkundigt er sich als Erstes nicht nach der Kunst, sondern nach den Fleischpreisen in der Stadt.

Dabei hat er das Sparen zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr nötig. Klee ist nicht irgendein Maler, als Walter Gropius ihn 1920 ans staatliche Bauhaus beruft. Er ist 40 Jahre alt, im Umkreis des Blauen Reiters bekannt geworden und bereits berühmt: 1920 zeigt ihn der Münchner Kunsthändler Hans Goltz in einer Einzelausstellung und bietet ihm ein monatliches Festgehalt zusätzlich zu seinen verkauften Werken. Klee arbeitet, schafft und verkauft so viel, dass er sich ein kompliziertes Nummerierungssystem aus Buchstaben und Zahlen für seine Bilder ausdenken muss, um nicht den Anschein von Massenware zu erwecken. Das »S. Cl.« unter dem Abenteurerschiff etwa steht für »Sonderklasse« – höchste Kategorie. Das waren die besten Werke, vom Künstler selbst zum Bestpreis ausgelobt.

Klee ist also keine Verlegenheitslösung, sondern eine prominente Besetzung. Er soll zum Zugpferd für die Studenten werden, das Bauhaus schmücken. Und die Schüler verehren ihn. Zu Klees 50. Geburtstag am 18. Dezember 1929 chartern sie ein Junkers-Flugzeug, das über Klees Atelierhaus in Dessau kreist. Mit einem Fallschirm, der als Engel gestaltet ist, werfen sie ihrem mystischen Lehrmeister die Geschenke direkt aus dem Himmel zu Füßen.

Auch im Ausland ist Klee längst bekannt. 1925 zeigt er seine erste Einzelausstellung in Paris, 1930 richtet das MOMA in New York eine große Retrospektive aus. Der Erfolg als freischaffender Künstler erleichtert ihm auch den Abschied vom bauhaus, zumal ihm der Lehrauftrag nicht mehr genug Raum für eigene Arbeiten lässt und ihn die ständigen Krisen und Konflikte zusätzlich zermürben.

Seit dem Umzug vom wildromantischen Weimar nach Dessau im Jahr 1925 fungiert das Bauhaus vor allem als hochschule für gestaltung industrieller Massenprodukte. Der Konflikt zwischen Malern und Technikern spitzt sich zu – deutlich sichtbar an der Berufung des Architekten Hannes Meyer zum Bauhaus-Direktor. Meyer propagiert den »Sieg des bewussten Menschen über die amorphe Natur«. Romantische Seelenlandschaften sind ihm fremd. Bei seinen ersten Besuchen am Bauhaus verzichtet er sogar ganz darauf, Klee kennenzulernen – er interessierte ihn schlicht und einfach nicht. Die »Kraftlinien« der Moderne sind für Meyer »Telephondrähte, Fahrdrahtgestelle, Starkstromleitungen (…) Funkturm, Betonmast, Blinklicht und Benzin-Tankstelle«. In seinem Lehrschema tauchen Klee und Kandinsky daher nur noch als Teil der Bauabteilung auf. Sein Ziel formuliert er völlig klar: die völlige »Abschaffung der Maler«. Klee bemüht sich, seinen Standpunkt in seinem Text »exakte versuche im bereich der kunst« zu formulieren und zwischen den Extremen zu vermitteln: »wir konstruieren und konstruieren und doch ist intuition immer noch eine gute sache«, schreibt er 1928 und schlägt vor: »es wären aufgaben zu stellen, wie etwa: die konstruktion des geheimnisses.« Er will eine harmonische Verbindung von Technik und Tradition, will Mechanik mit Mystik verbinden. Doch Ende der zwanziger Jahre gibt er erschöpft auf. Es ziehe ihn zurück »ins alte Reich der Kunst«, schreibt er im Abschiedsbrief an Meyer und folgt einem Ruf als Professor an die kunstakademie düsseldorf.

Klees Idee eines Ausgleichs der Gegensätze hält Sammlungsleiter Kase für so aktuell wie nie. Wie geht der Mensch mit neuen technischen Herausforderungen um? Wie würde Klee heute auf Krisen reagieren, auf Strukturwandel, Digitalisierung und künstliche Intelligenz? Er wünsche sich, in der Ausstellung einen Künstler zu zeigen, der die Konflikte der Moderne auf seine Weise ausbalanciert. Er glaube aber, Klees »Konstruktion des Geheimnisses« funktioniere so gut, dass wir ihn nicht entschlüsseln werden. Wir können nur versuchen, ihn verständlich zu machen. //