Julian Schnabel: Der Doge von New York

Er malt wie ein Berserker, dreht Filme und lebt mitten in Manhattan in einem venezianischen Palazzo. Hausbesuch bei Julian Schnabel, einem Rebellen auf Comeback-Kurs

TEXT: CLAUDIA BODIN, FOTOS: KATHARINA POBLOTZKI

"Parken verboten" hat Julian Schnabel eigenhändig an die Wand neben dem Einfahrtstor gepinselt. Nichts an der Backsteinfassade auf der 11th Street lässt erahnen, dass sich oberhalb des ehemaligen Fabrikgebäudes ein pinkfarbener Stadtpalast in den Himmel erhebt. Einen Herrschaftssitz wie diesen würde man vielleicht in Venedig, aber nicht in Greenwich Village in Downtown Manhattan erwarten. Manche sehen in Julian Schnabels Palazzo Chupi, den der Künstler auf das existierende Gebäude setzte, ein extravagantes Gesamtkunstwerk. Andere verglichen den Palast mit Citizen Kanes Xanadu oder mit einem überdimensionalen Barbiepuppen-Haus und sehen darin einen weiteren Beweis für Schnabels Größenwahn.

Bei keinem anderen Künstler scheiden sich die Geister so sehr wie bei Julian Schnabel: Die einen halten ihn für einen der größten Maler seiner Generation. Der Rest glaubt, dass er sich schon immer selbst überschätzt hat. "Man versucht, mich auszuradieren", kommentiert Schnabel und lässt seinen wuchtigen Körper in das Rattansofa in seinem Atelier im dritten Stock des Palazzos sinken. Ein Bild von Dennis Hopper hängt an der Wand. Schnabel trägt eine weiße Pyjamahose zum zerknitterten Jeanshemd, rote Socken zu bequemen Tretern. Das Haar ist nicht mehr ganz so dicht wie früher, der Bart ergraut. Trotz bescheidener Körpergröße füllt der 66-Jährige mit seiner Präsenz einen Raum auf Anhieb. Was überrascht, ist seine Stimme. Sie ist höher als erwartet und scheint nicht so recht zu diesem Koloss von Mann zu passen.

"Dabei mögen Künstler meine Arbeit offensichtlich", fährt Schnabel fort und berichtet von Georg Baselitz, der ihn als einen begnadeten Maler bezeichnet hat und mit dem Schnabel Werke austauschte. Baselitz bekam eines von Schnabels Goat Paintings, eine Serie mit Ziegenmotiv, die bei einigen Varianten am Abgrund steht und ein Stofftier auf den Hörnern balanciert und mit der er 2012 nach dem Tod des mit Plüschtieren arbeitenden Künstlers Mike Kelley begonnen hat. Schnabel erzählt von seinem New Yorker Kollegen Brice Marden, der ihn in jungen Jahren als Schüler verspottete, was in einer Schlägerei endete, und Schnabels letzte Show in der Pace Gallery gelobt hat. Von dem New Yorker Altmeister Frank Stella, der ihn in seinem rosa Palast besucht hat und zu Schnabels Fans zählt. Genauso wie der deutsche Maler Albert Oehlen, der heute in der Kunstwelt mehr Ansehen als er selbst genießt. Auf die Schar von jungen Stars wie Oscar Murillo, Joe Bradley, Sterling Ruby oder Sergej Jensen, die sich bei Schnabels Repertoire bedienen, ihn aber als Einfluss totschweigen, will der Maler gar nicht weiter eingehen. "Ich beschäftige mich mit Elementen der Malerei und Wegen zu malen, die von den meisten verdammt noch mal nicht verstanden werden. Sie kopieren, machen Versionen von meinen Arbeiten", meint Schnabel. "Wenn Ellsworth Kelly mich in meinem Atelier besuchen würde, wäre er wahrscheinlich glücklich über das, was er hier sehen würde."

Kelly, Stella, Baselitz - das ist die Liga, in der sich Schnabel sieht. Dass das Museum of Modern Art mit St. Sebastian (1979) erst 2015 ein Gemälde von ihm in die Sammlung aufnahm und ihn damit erst spät zum MoMa-Künstler adelte und dass sein Freund aus alten New Yorker Zeiten, der jung verstorbene Jean-Michel Basquiat, einen Auktionsrekord von 110 Millionen Dollar erzeugte, während Schnabel, der einstige Superstar, sich mit Versteigerungsergebnissen von vergleichsweise mageren 1,5 Millionen begnügen muss, kränkt natürlich. Aber Schnabels "Wiederauferstehung", wie es die Wochenzeitung "New York Observer" 2013 nannte, bahnt sich endlich, wenn auch schleppend, an. Und erreicht mit einer Ausstellung in den Fine Arts Museums of San Francisco einen neuen Meilenstein. Hinter der Schau steckt Max Hollein, der Schnabel 2004 eine Ausstellung an der Frankfurter Schirn widmete und seit 2016 den Museumsverbund in San Francisco leitet. Wie viele andere Kunstexperten ist Hollein davon überzeugt, dass Schnabel, besonders sein späteres Werk, neu entdeckt werden sollte. "Es geht darum, einen Schnabel kennenzulernen, über den man viel gehört und über den man sich eine Meinung gebildet hat. Der Künstler gleicht fast schon einem Mythos", meint Hollein. "Dabei haben viele seine Werke aus den letzten Jahren und Jahrzehnten noch nie gesehen."

Berühmt ist Schnabel vor allem dafür, dass er in den Achtzigern neben Kollegen wie David Salle, Eric Fischl und Jean-Michel Basquiat nach Jahren der Konzeptkunst und des kühlen Minimalismus die Malerei zurückeroberte. Alles, was in den Siebzigern verpönt war, landete bei den Neoexpressionisten auf der Leinwand: Figuren, Körper, Sprache, Emotionen, Erzählungen. Schnabel war der Lauteste und kommerziell Erfolgreichste unter den damaligen Bad Boys. Kunst hatte der in Brooklyn als Sohn eines jüdischen Einwanderers aus der Tschechoslowakei geborene Schnabel im texanischen Houston studiert. Seine Teenagerjahre verbrachte er in Brownsville an der mexikanischen Grenze, wo er seine lebenslange Leidenschaft für das Surfen entdeckte. Um sich für ein Stipendium im New Yorker Whitney Museum zu bewerben, legte Schnabel Dias seiner Arbeiten zwischen Brotscheiben und schickte ein Sandwich ein. Er wurde angenommen. Später verdiente sich der Maler sein Geld als Koch in angesagten New Yorker Downtown-Restaurants. Erst im "Ocean Club", in dem David Byrne, Lou Reed oder John Cale auftraten. Dann im "Locale", wo er mit Künstlern wie Carl Andre, Ross Bleckner oder David Salle Kunst gegen Malzeiten tauschte.

Seine erste Einzelausstellung hatte Schnabel 1979 mit 27 Jahren bei der ehrgeizig aufstrebenden New Yorker Kunsthändlerin Mary Boone. Zwei Jahre später wurden die Bilder des jungen Malers neben Andy Warhol, Francis Bacon, Gerhard Richter oder Willem de Kooning in der Ausstellung "A New Spirit in Painting" in der Londoner Royal Academy of Arts gezeigt, und Schnabel gelang das damals unerhörte Kunststück, gleichzeitig bei Mary Boone und dem angesehenen Galeristen Leo Castelli neue Arbeiten zu zeigen - beide Shows waren vor der Eröffnung ausverkauft. Schnabels Plate Paintings aus zerbrochenen Tellern und Gefäßen glichen Explosionen auf der Leinwand und wurden damals für Preise von bis zu 60 000 Dollar gehandelt. Er war so dreist, sich selbst mit Picasso zu vergleichen, und schrieb im Alter von 36 Jahren seine Autobiografie, in der er seine Bilder großspurig als Symbole von Leben und Tod beschrieb und mit Kollegen abrechnete, die Werke nach flachen Formeln für ein hohles Publikum produzierten.

Es war das Zeitalter der Yuppies. Doch dann stürzte die Börse ab, die Aids-Krise erschütterte die Welt. Der Lebemann Schnabel symbolisierte den ekelhaften Exzess der Achtziger. Seine erste und letzte Retrospektive in einem New Yorker Museum stieg 1987 zu gemischten Kritiken im Whitney. Dass er schöne Frauen liebt, sich mit prominenten Freunden umgibt und Bilder malt, die so groß sind, dass sie nur in die Häuser weniger Sammler wie das seines Freundes Peter Brant passen, zementierte seinen Ruf. Vor allem aber hielt sich Schnabel nicht an die Regeln. Er startete in den neunziger Jahren eine zweite Karriere als Regisseur, der einfühlsame Kinofilme wie Basquiat oder-Schmetterling und Taucherglocke drehte, für den er mit dem Regiepreis in Cannes ausgezeichnet wurde. Er entwirft Möbel, schreibt Drehbücher und bewies sich als Innenausstatter mit einem Sinn für Pomp. Seiner Glaubwürdigkeit als Maler hat all das nicht gutgetan. Was blieb, waren Kunstkenner, die Schnabel hassen, aber nicht genau sagen können, warum, meint Tim Blum, einer von Schnabels Galeristen. "Weil sie den Lärm, der Schnabel umgibt, nicht ausschalten können." Julian Schnabel führt die Privatgemächer seines Palastes vor und ist so entwaffnend offen, dass er selbst das Wohnzimmer, in dem das jüngste seiner sechs Kinder spielt, die Schlafzimmer und die Küche mit den smaragdgrünen Wänden nicht auslässt. Palazzo Chupi ist ein pompöser Traum in Bonbonfarben. Edle Stoffe wurden über rosafarbene Samtsofas geworfen. Neben dem Konzertflügel sitzt eine Kerzenskulptur, die Urs Fischer von seinem älteren Kollegen in Lebensgröße fertigte, um ihn abbrennen zu lassen. Viele seiner Bilder aus den vergangenen 40 Jahren befinden sich in Schnabels Besitz.

Sein Sohn, der Kunsthändler Vito, ist außerdem dabei, frühe Arbeiten zurückzukaufen, um den Nachlass zu kontrollieren. Einige Wände im Palazzo sind bis auf fünf Meter Deckenhöhe mit Kunstwerken vollgehängt. Schnabels Bilder aus unterschiedlichen Werkphasen leben wie im Privatmuseum neben Arbeiten von Joseph Beuys, Luigi Ontani, Man Ray, Sigmar Polke, Blinky Palermo, Picasso, Andy Warhol oder Francis Picabia. Kunstbände stapeln sich auf Tischen. Gewaltige Tierschädel dienen als Dekoration.

"Es gab eine Zeit, in der ich das komplette Lila in der Stadt aufgekauft habe", erzählt Schnabel über die von ihm geliebte Farbe, die er in Form von Klecksen oder Markierungen auf gefundenes Material setzt. Schnabel hat auf Scherben, Samt, sonnengegerbten Segeltüchern, auf durch den Dreck gezogenen Planen, auf Tapeten oder dem Fußboden aus dem Boxring, in dem Mike Tyson trainiert hat, gemalt. Seine jüngste Serie wird er im Außenhof des Legion of Honor Museum in San Francisco Wind und Wetter aussetzen und damit das Thema, das sich in vielen seiner Werke findet, fortsetzen: der Lauf der Zeit. Schnabel arbeitet mit Material, das ein Stück Geschichte mit sich bringt und auf dem er seine Spuren hinterlässt. Für seine neue Serie wählte er Marktplanen aus Mexiko, die Flecken, Risse und Löcher haben. Darauf setzte er diese weißen, mysteriösen Zeichen, von denen Schnabels Tochter Stella glaubt, dass sie ihren Ursprung in der Jugend ihres Vaters im texanischen Brownsville haben, wo Baumstämme weiß angemalt wurden. Schnabel arbeitete in seinem Haus an der Atlantikküste in Montauk im Freien an den gigantischen Bildern. "Julian Schnabel denkt mit seinen Gemälden sehr architektonisch, es sind immer auch Objekte", sagt Hollein. "Oftmals wird er für die riesigen Dimensionen kritisiert. Aber das hat damit zu tun, dass er versucht, Bilder zu schaffen, die zur Größe des Betrachters in Relation stehen. Sie sind kein Fenster in eine andere Welt, sie kreieren eine Welt."

Diese Welt ist vielen bislang verschlossen geblieben. Dabei bescheinigen Kritiker wie Roberta Smith von der "New York Times" Schnabel großen Einfluss auf eine ganze Generation von Künstlern. Dennoch würde sich kaum einer trauen, seinen Namen in den Mund zu nehmen. "Schnabel ist ebenso seiner Zeit voraus, wie er mit ihr Schritt gehalten hat", schrieb Smith und bewunderte die Mischung von Wut und Wärme in seinen Bildern. Die Anti-Schnabel-Fraktion wirft dem Künstler vor, sich schamlos bei Meistern wie Willem de Kooning und vor allem bei Cy Twombly bedient zu haben. Schnabel ließ sich davon nicht beirren. Er nannte einen seiner Söhne Cy und widmete dem Maler nach dessen Tod eine Serie von Bildern. Twombly selbst hatte bewundernde Worte für Schnabel: "Er hat ein großartiges Gespür für Drama und Atmosphäre, für die Platzierung auf der gesamten Bühne." Auf jeden Fall hat sich der Maler nicht auf dem frühen Erfolg seiner Plate Paintings ausgeruht, sondern ist immer volles Risiko gefahren, um die Grenzen der Malerei innerhalb des Prozesses weiter auszuweiten. Er malt mit den Fingern, setzt wie ein Anstreicher langstielige Pinsel, Spraydosen oder auch den Gartenschlauch ein. Oder er schleudert mit Farben getränkte Tücher gegen die Leinwand. Im Gegensatz zu Christopher Wools coolen Abstraktionen stecken Schnabels Gemälde voller Gefühl und Pathos. Was manchmal danebengehen kann, wenn Werke wie die neue Serie von Scherben-Reliefs - inspiriert von den Rosen an Vincent van Goghs Grab in Auvers-sur-Oise - im Kitsch versinken. Er sei ein fast peinlicher Romantiker, hat Eric Fischl über seinen Kollegen gesagt.

Der Künstler hat sich wieder auf dem Sofa niedergelassen. Über seine Bilder will er eigentlich nicht mehr sprechen. Er ist vor Kurzem aus Frankreich zurückgekehrt, wo er mit Willem Dafoe in der Hauptrolle einen Film über Vincent van Gogh gedreht hat. Als Schnabel Aufnahmen auf seinem Telefon abspielt, Dialoge Wort für Wort wiedergibt, ist er kaum zu bremsen. In einer Szene ist van Gogh in all seiner Verzweiflung zu sehen. Er rennt über ein Feld, er schreit, er weint. "Es geht darum, allein zu sein und einen Ort zu finden, wo du wirklich sein willst", sagt Schnabel. "Wir haben keine Vorstellung davon, was passiert, wenn wir nicht mehr da sind." Am Tor zur Unendlichkeit wird der Film heißen. Dann versinkt er wieder in den Aufnahmen und sagt: "Es ist ein sehr persönlicher Film."