Schnipp Schnapp, Haare ab
Der Bubikopf war keine Frisur – er war ein Bekenntnis! Er stand für ein neues weibliches Selbstbewusstsein, sexuelle Selbstbestimmung und finanzielle Unabhängigkeit. Klar, dass auch viele Künstlerinnen und Künstler den neuen Look der neuen Frau zu ihrem Thema machten!
TEXT: SANDRA DANICKE
Margots Augen sagen alles. Sie steht auf der Straße in ihrer weißen Bluse, Zigarette in der Linken, die Rechte forsch in die Taille gestemmt. Ihr Bubikopf, die manikürten Finger, das Make-up zeigen, dass sie Wert auf ihre äußere Erscheinung legt. Dass sie eine moderne Frau auf der Höhe ihrer Zeit ist, eine, die nicht kuscht, sondern selbst bestimmt, wo’s langgeht. Doch es ist vor allem ihr Blick, der das Dilemma ihrer Existenz auf den Punkt bringt, ein Blick, der herausfordernd und traurig zugleich wirkt, der Stolz und Müdigkeit ausdrückt, Abgeklärtheit und Würde, womöglich auch ein wenig Verachtung für ihr Gegenüber.
Dass Margot , die von Rudolf Schlichter 1924 auf einer schäbigen Straße porträtiert wurde, eine Prostituierte ist, sieht man ihr nicht an. Genauso gut könnte es sich um eine Büroangestellte handeln, die zur Zigarettenpause vor die Tür gegangen ist. Dass sie um ihre Existenz kämpft, verraten allein die Augen. Als Vertreterin des in den zwanziger Jahren aufkommenden Typs der »neuen Frau« ist Margot zugleich charakteristisch und auch ein wenig untypisch. Weil sie zwar selbstbewusst im neuen Look auftritt, weil sie berufstätig ist und sich nichts vormachen lässt, zugleich jedoch vor der bröckelnden Hauswand nicht gerade mondän erscheint. Die Euphorie und Zukunftsfreude, die in dem Begriff »neue Frau« mitschwingen, sind bei ihr bereits ins Existenzielle gekippt.
»Neue Frau« – das klingt nach Chancen und Möglichkeiten. Und die gab es in der Weimarer Republik tatsächlich. Der Erste Weltkrieg war überstanden, das Frauenwahlrecht und die gesetzliche Gleichstellung endlich eingeführt, und die Bevölkerung war hungrig nach Vergnügungen. Frauen hatten nun Zugang zu Berufen und Ausbildungswegen, die ihnen vorher verwehrt waren, sie konnten studieren und politisch aktiv sein, konnten Ärztinnen oder Richterinnen sein – zumindest theoretisch. Sie rauchten in der Öffentlichkeit, trugen Kleidung, die modisch und bequem zugleich war, trieben Sport, fuhren Auto und gingen tanzen bis zum Morgen.
Doch die neuen Freiheiten hatten auch ihre Kehrseiten: Frauen durften nicht nur arbeiten gehen – sie mussten es in den meisten Fällen auch. Etliche Männer waren im Krieg gestorben oder massiv verwundet worden: Die Gesellschaft hatte über eine Million Kriegswitwen und rund 1,5 Millionen Kriegsversehrte zu verkraften, die zum Lebensunterhalt nichts beitragen konnten. Frauen waren nun häufig in die Rolle der Ernährerin gedrängt, mussten für Hungerlöhne in Fabriken schuften oder sahen sich zur Prostitution gezwungen. Heiratskandidaten waren rar. Wer sich eine Ausbildung leisten konnte, suchte Arbeit im Büro oder als Verkäuferin. Die junge Angestellte avancierte zur Verkörperung der zeitgemäßen Frau.
»Kein anderer Frauentypus erfuhr zwischen 1918 und 1933 so großes öffentliches Interesse wie die Angestellten, die vielen Zeitgenossen geradezu als Inbegriff Weimarer Modernität erschienen«, schreibt die Historikerin Ute Frevert. »Sie galten als Prototypen weiblicher Emanzipation […]. Selbstbewusst, materiell unabhängig, gepflegt, sportlich und sexuell ›befreit‹ schwirrte diese neue Frau durch das Feuilleton, saß mit übereinandergeschlagenen Beinen im Literatencafé und zog an ihrer Zigarettenspitze.«
Auch Sonja , die 1928 von Christian Schad in der für ihn typischen unterkühlten Art der Neuen Sachlichkeit porträtiert wurde, gehörte zu der neuen Generation emanzipiert auftretender Angestellter. Dass sie einen harten Arbeitstag als Sekretärin hinter sich hat, sieht man allenfalls an ihren tiefen Augenringen. Mit dem eleganten Kleid, der androgynen Frisur, dem sorgfältigen Make-up und der mondänen Zigarettenspitze hielte man sie wohl eher für eine Angehörige der Berliner Boheme. Zumal wir wissen, dass sich der Tisch, an dem sie sich ganz souverän allein niedergelassen hat, im »Romanischen Café« befindet, einem am Kurfürstendamm gelegenen Treffpunkt für Künstler, Schriftsteller und Journalisten. Vor Sonja liegen Schminkutensilien und ein Päckchen Camel – beides Symbole ihrer Unabhängigkeit. Glücklich wirkt sie dennoch nicht. Mit aufrechter Körperhaltung und großen müden Augen schaut sie den Betrachter an, scheint jedoch gleichzeitig abwesend durch ihn hindurchzusehen.
TRAUM UND TRAURIGKEIT
Frauen konnten nun nicht nur arbeiten – sie mussten es auch. Etwa 533000 Kriegswitwen hatten ihre Familien zu versorgen. Gelegenheitsprostitution war eine Möglichkeit, schnell zu etwas Geld zu kommen. Die Protagonistin dieses Bildes bietet sich in einem Hinterhof an
Mitte der zwanziger Jahre gab es annähernd 1,5 Millionen weibliche Angestellte, dreimal mehr als 1907«, schreibt Ute Frevert. Die hohe Zahl bedeutet jedoch noch lange nicht, dass sie den männlichen Kollegen gleichgestellt waren. »Auch in den zwanziger Jahren, als die Zerlegung, Standardisierung und Technisierung der Arbeitsfunktionen rasch voranschritt, blieb die ›höhere Arbeit‹ ein Monopol von Männern, und Frauen begnügten sich mit den kleineren Verrichtungen. Dafür bekamen sie selbstverständlich weniger Geld.« Dass sich der Alltag für die arbeitende Frau alles andere als glamourös darstellte, zeigt sich in den Zeichnungen von Hanna Nagel, die an der BADISCHEN Landeskunstschule in Karlsruhe in der Klasse von Karl Hubbuch studiert hat. Hubbuch war ein Aufreißertyp, der Studentinnen offenbar mit weniger Respekt behandelte als ihre männlichen Kollegen. Wer will, kann die Ungleichbehandlung der Geschlechter auch in Nagels Zeichnungen erkennen: Die sorgenvoll in die Ferne blickende Frau mit Hakennase (1928) strahlt vor allem Resignation aus, bei Hilde Muß (1929) hingegen meint man eine fast unterwürfige Beflissenheit zu erkennen.
Während sich im Berufsleben und zu Hause die Utopie von der befreiten Frau also nur sehr eingeschränkt durchsetzte, feierte sie in der Mode ein Fest. Der Bubikopf – ein nach dem damals gängigen Haarschnitt kleiner Jungen benannter, eng am Kopf anliegender kurzer Bob war das Erkennungszeichen der »neuen Frau«. Man trug ihn lockig mit Dauer- oder Wasserwelle oder auch glatt frisiert mit Pomade, wahlweise bis zum Ohrläppchen oder Kinn. Es gab Variationen mit Pony und ohne. Als erste Bubikopfträgerin gilt die US-amerikanische Tänzerin Irene Castle, die die kesse Frisur mit ihren internationalen Auftritten auch in Europa bekannt machte. In Deutschland wurde der strenge Look durch Werbeanzeigen für Kosmetik- und Haushaltsprodukte aber auch durch Filmschauspielerinnen verbreitet. Für Aufsehen sorgte vor allem die Dänin Asta Nielsen, die 1921 als geheimnisvoll-androgyner Prinz Hamlet mit Bubikopf vor der Kamera agierte. Auch zeitgenössische Künstlerinnen wie Hilde Rakebrand, Gerta Overbeck, Elfriede Lohse-Wächtler oder Jeanne Mammen trugen ganz selbstverständlich Bubikopf.
KAFFEEHAUSBOHEME
Im Café spielte sich ein Großteil des Lebens ab: nach dem Arbeitstag zum Runterkommen – oder um direkt vor Ort zu arbeiten
Doch nicht nur die Frisur, auch die Kleidung veränderte sich nachhaltig: Einschnürendes wie Korsetts und eine weibliche Silhouette formende Unterwäsche galt plötzlich als altbacken und unerotisch. Während im Krieg und kurz danach Stoffe für die meisten Frauen noch unerschwinglich waren, schuf der technische Fortschritt in der Industrie nun die Konfektionsmode für alle. »Die Frauen der weniger betuchten Schichten nähten sich Modelle nach modischen Vorbildern selbst oder bestellten eine Hausschneiderin«, schreibt die Autorin Christiane Koch in dem von Kristine von Soden und Maruta Schmidt herausgegebenen Band Neue Frauen. »Die Vereinfachung der Schnittmuster, die ein Ende machte mit überdimensionierter Stofffülle und komplizierten Kreationen, tat ein Übriges, um sowohl erschwingliche Serienkleidung als auch selbst zu fertigende Garderobe zu ermöglichen. Moderne Massenmedien – Zeitschriften aus dem Modesektor – sorgten für eine bislang ungeahnt weite Verbreitung der jeweils aktuellen Mode […]. All das schuf so etwas wie ein allgemeines Modebewusstsein, das der Welt und den Damen bisher unbekannt war.«
Vor allem berufstätige Frauen brauchten nun etwas Schickes für den Arbeitsplatz, beliebt war hierfür das Kostüm, das dem männlichen Anzug nachempfunden war. Wichtig waren Gradlinigkeit und eine Bewegungsfreiheit, die eine bequeme Ausführung der Arbeit im Büro, im Kaufhaus oder im Haushalt zuließ. Was genau unter »tauglicher Arbeitskleidung« zu verstehen war, darüber gingen die Meinungen allerdings bisweilen auseinander. In seinem 1933 erschienenen Buch Beruf und Ideologie der Angestellten berichtet der Soziologe Carl Dreyfuss von einer Schuhverkäuferin, die entlassen wurde, »weil sie sich nicht dem Wunsche des Geschäftsinhabers gefügt hatte, duftige Wäsche zu tragen. Der Unternehmer führte vor Gericht aus, dass bei dem ununterbrochenen Hinaufsteigen auf Leitern zum Herabholen der Schuhe den männlichen Besuchern ein möglichst angenehmer Anblick verschafft werden müsse. « Belästigung am Arbeitsplatz galt damals noch nicht als Delikt. Von Gleichberechtigung konnte die »neue Frau« allenfalls im Nachtleben träumen, wo sie ungeniert auffordern konnte, wen sie wollte, und sich mit ekstatischen Tänzen wie Shimmy und Charleston den Ärger des Tages vom Leib schüttelte.
AMÜSEMENT UND FREIHEIT
Wo im Alltag von Gleichberechtigung keine Rede war, fanden Frauen im Nachtleben eine bis dahin nie gekannte Unabhängigkeit
Als Chronistin des nächtlichen Berlins dokumentierte Jeanne Mammen das verruchte Leben in den Tanz- und Travestielokalen mit lässig hingeworfenen Illustrationen für diverse Zeitschriften. In zahlreichen Bildern zeigt sie Frauen unter sich – etwa in Sie repräsentiert (1928), das eine kecke Lady im Herren-Outfit abbildet, die mit Zylinder, Kippe im Mundwinkel und einer Verehrerin im Rücken eine herausfordernde Pose einnimmt. Oder in Zwei Frauen tanzen, das im selben Jahr entstand und zwei verliebte Damen in zärtlicher, aber auch nachdenklicher Umarmung zeigt. Im Tanz lebten Frauen den Individualismus und die Selbstbestimmtheit, die sich im Alltag oft nicht verwirklichen ließen.
War man tagsüber noch relativ schlicht und gediegen unterwegs, so gaben die Frauen bei der Abendgarderobe alles. Die Kleidersäume rutschten nach oben, die Brüste wurden flach gebunden, denn das Ideal der neuen Frau war nicht weiblich, rundlich, romantisch, sondern schlank und androgyn. Die Kleider der sogenannten Flapper – ein Ausdruck, der in den USA erfunden worden war – waren gerade geschnitten und verbargen die Kurven, beim Tanz jedoch schwangen sie, unterstützt von langen Ketten oder Federboas, aufreizend hin und her. Neben dem »Flapper Girl« gab es die »Garçonne«, die mit männlichen Attributen im Hosenanzug auftrat. »Herbe, eher scharfkantige und markante Schönheit, wie die der Greta Garbo, konstituierte das neue weibliche Schönheitsideal«, schreibt Christiane Koch. »Dementsprechend wurden die Gesichter stark konturiert durch grelle Farbgebung und kräftige Schminktöne: Dunkle Lippenstifte, die scharfe Linien zogen, und lackierte Fingernägel waren ebenso beliebt wie für das konservative Publikum skandalträchtig.«
SEX, DRUGS & CHARLESTON
Nie zuvor war der Umgang mit Sex offener gewesen – mal zum Spaß, oft aus bitterer Not. Drogen wie Kokain gehörten dazu
Dies galt auch für Intellektuelle wie Sylvia von Harden, die von Otto Dix 1926 mit Monokel und verrutschtem Strumpf porträtiert wurde. Als der Künstler sie ansprach, saß die Journalistin und Lyrikerin in einem Berliner Café. »Ich muss Sie malen!«, soll er gerufen haben, »Sie repräsentieren eine ganze Zeitepoche! « Von Harden war überrascht. »Also«, habe sie erwidert, »Sie wollen meine glanzlosen Augen, meine verschnörkelten Ohren, meine lange Nase, meinen dünnen Mund – Sie wollen meine langen Hände, die kurzen Beine, die großen Füße malen, das jedermann nur abschrecken, aber niemand erfreuen wird?!« – »Sie haben sich ausgezeichnet charakterisiert«, soll der Maler geantwortet haben, erinnerte sich von Harden später, »und dies alles zusammen wird ein Portrait geben, das eine Zeitepoche vertritt, in der es nicht auf die äußere Schönheit einer Frau ankommt, vielmehr auf ihre psychische Verfassung.«
Zahlreiche Künstler waren fasziniert vom neuen selbstbewussten Frauentyp und hoben das Verruchte in ihren Werken hervor. Dodo, die wie Jeanne Mammen Illustrationen für Zeitschriften schuf, inszenierte Frauen als verführerische Vamps und Diven, Karl Hofer malte Vertreterinnen der zuweilen nackt auftretenden Tanztruppe »Tiller Girls«. George Grosz, Rudolf Bergander und viele mehr hielten Bordellszenen fest, die allerdings in den meisten Fällen keineswegs eine neue Freiheit zu preisen scheinen, sondern eher jenen elenden Zustand dokumentieren, in dem sich unzählige Bewohnerinnen der Großstädte wiederfanden.
Auch Otto Dix sah sehr genau, dass für den Amüsierrausch der »Goldenen Zwanziger « ein hoher Preis gezahlt wurde. In seinem Triptychon Großstadt von 1927/28 prallt der luxuriöse Vergnügungswahn der Hautevolee auf eine erbärmliche Halbwelt aus Kriegsversehrten und Prostituierten. Wie zahlreiche Künstler seiner Zeit scheint er gespürt zu haben, dass der wilde Tanz auf dem Vulkan schon bald im Fiasko enden würde.
Elfriede Lohse-Wächtler, die bis 1919 noch unter männlichem Pseudonym gearbeitet hatte, war in Hamburger Kneipen, Nachtclubs und Bordellen unterwegs, um Randexistenzen und Mittellose zu porträtieren, für die sich das Versprechen der Roaring Twenties nicht eingelöst hatte. Ihr Stil ist expressiv, bisweilen fast aggressiv, jedoch charakterisiert sie ihre Modelle auch deutlich einfühlsamer als ihre männlichen Kollegen die ihren. Anders als George Grosz, Otto Dix oder Karl Hubbuch führt Lohse-Wächtler die Abgebildeten nicht vor, karikiert sie nicht, sondern lässt ihnen ihre Würde. Auch als sie 1929 als Insassin einer psychiatrischen Klinik zahlreiche Mitpatientinnen porträtierte. Der Künstlerin selbst wurde jede Würde aberkannt. Nachdem die Nationalsozialisten sie bereits 1935 hatten entmündigen und zwangssterilisieren lassen, wurde sie 1940 in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet.