Ausstellungen unter Volldampf – und im Normalbetrieb
Ausstellungen unter Volldampf – und im Normalbetrieb
TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR
-

Von Maria Hassabis documenta-Performance »Staging« sahen die Normalbesucher in der Regel nur die Teppichunterlage -

Die Jacken herbstlich – ansonsten aber alles wie zur Eröffnung im Mai: der Pavillon von Südkorea auf der diesjährigen Venedig-Biennale
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER ,
als Journalist bekommt man eine seltsam aufgeladene Perspektive auf die Dinge, fast eine »Déformation professionnelle « ist diese Wichtignehmerei. Das liegt daran, dass wir Großausstellungen in der Regel an sogenannten Preview-Tagen sehen. So brechend voll ist es später selten. Das ganze Brummen und Zischen dieser Volldampf-Veranstaltungen lädt jedes Detail mit Bedeutung auf – und (gefühlt) auch uns Betrachter.
Ich habe mir angewöhnt, sooft es geht, Ausstellungen ein zweites Mal anzusehen – dann im Normalbetrieb. Bei Museumsschauen in Deutschland kann das ziemlich ernüchternd sein, wenn man sich an einem Donnerstagvormittag die Säle mit einer Handvoll Senioren teilt und sich fragt, warum man keine Schulklassen mehr herbringt, wie in Italien oder Frankreich noch durchweg üblich. An Wochenenden stellt sich das anders dar: Sobald die Jugendlichen und die Familien kommen, kann man nicht nur sehr erhellende Gespräche belauschen (immer wieder großartig, was Menschen sehen und wie sie es einander beschreiben!), sondern auch wunderbar studieren, inwieweit überhaupt irgend etwas von der Arbeit der Kuratoren bis zu den Besuchern durchdringt oder eben einfach Bilder neben Bildern hängen.
Manchmal kann man beim Zweit- und Drittbesuch auch langfristige Studien anstellen. Die VENEDIG-BIENNALE etwa hauchte früher zum Herbst hin aus technischen Gründen allmählich ihr Leben aus, weil ein Projektor nach dem anderen ausfiel, während sich der Nebel der Lagune gnädig über Pavillons legte, denen das Personal abhanden gekommen war. Heute spazieren die Leute noch im späten Oktober beseelt schwatzend und staunend durch diesen Abenteuerspielplatz der Nationen.
Der DOCUMENTA dagegen haftet ja von jeher eher der Geruch von Arbeit an. Die Besucher sind viel beflissener und ernsthafter. Trotzdem habe ich diesmal so viele genervte Menschen gesehen wie selten: schwankend zwischen Überforderung (wegen fehlender Informationen) und Unterforderung (wegen banaler Erklärungen und/oder Kunst). Zudem ist der sonst so sauber durchgeführten 100-Tage-Schau bald die finanzielle Luft für Performances ausgegangen: Sie war für das Publikum eine andere, ärmere und schlechtere Ausstellung als für die professionellen Gäste beim Grand Opening – und das ist schon fast Betrug.