Vom Glücksfall zum Justizskandal: Zeigt den Münchner Fund!
Vom Glücksfall zum Justizskandal: Zeigt den Münchner Fund!
Tim Sommer, Chefredakteur
Liebe Leserin, lieber Leser, erst die Justiz machte aus dem Glücksfall der Kunstgeschichte einen handfesten Skandal. Sie schreibt damit zynisch den unseligen Umgang mit dem Unrecht aus der Nazizeit fort. Als die Ermittlungsbeamten auf den Spuren des mutmaßlichen Steuersünders Cornelius Gurlitt dessen Münchner Wohnung durchsuchten, stießen sie auf eine Zeitkapsel mit 1400 Werken, vorrangig der Klassischen Moderne: verloren geglaubte Bilder, viele davon vermutlich von den Nazis aus jüdischem Besitz geraubt, erpresst, als „entartete Kunst“ aus den Museen gerissen. Hildebrand Gurlitt, Cornelius’ Vater, war als Händler einer der staatlich bestellten Verwerter dieser Beute gewesen, in seinem Besitz hat das Raubgut im Geheimen überdauert, und diese Lüge hat sich über seine Witwe an den Sohn vererbt. Einspruchsfristen der jüdischen Eigentümer sind inzwischen verjährt, die Museen hatten nie einen Rechtsanspruch, die Werke zurückzuerhalten.
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Hildebrand Gurlitt war ein Vorkämpfer der Moderne, später ein Verwerter der Beute aus der Schandausstellung „Entartete Kunst“. Seine Lügen vererben sich fort – bis zur Augsburger Staatsanwaltschaft
Aber ist das ein hinreichender Grund, diesen revolutionären Fund zu behandeln wie die x-beliebigen Asservate eines Drogenhändlers? Die Augsburger Staatsanwaltschaft hat die Werke eingezogen und die Provenienzforscherin Meike Hoffmann damit beauftragt, im Alleingang die Herkunft der Bilder zu bestimmen. Eine „Mission Impossible“, die Jahrzehnte im Stillen oder auch im Sande hätte verlaufen können. Angeblich, um die Interessen Anspruchsberechtigter zu schützen. Entscheidend muss jedoch sein, diese Anpruchsberechtigten überhaupt zum Zuge kommen zu lassen, um ererbtes Unrecht aus der Welt zu schaffen, was ohnehin nur im Zuge vieler einzelner Vergleiche gelingen kann. Dafür gibt es nur einen Weg: die Werke konsequent öffentlich machen. Für die Forschung, für die Museen und, auch wenn es unbequem für die Augsburger und kathartisch, nämlich schmerzhaft reinigend, für Herrn Gurlitt werden wird: für die Anwälte der jüdischen Erben.