Der neue, alte Skulpturentrend ist: kolossal

Der neue, alte Skulpturentrend ist: kolossal

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser, mit dem Koloss von Rhodos muss sie begonnen haben. Oder mit der Sphinx von Gizeh. Oder schon mit den Hünengräbern der Jungsteinzeit. Man weiß es nicht. Aber sicher ist, dass die Liebe des Kulturmenschen zur Monumentalskulptur nie zu Ende geht. Sie erneuert sich immer wieder, auch wenn es da gewisse Phasen des Understatements gibt, in denen uns auch das leicht übermenschliche Maß zu genügen scheint. Das 19. Jahrhundert etwa stellte noch Goethe und Schiller nur knapp verdoppelt auf den Weimarer Sockel, Hermann den Cherusker dann aber als 26-Meter-Riesen in den Teutoburger Wald.

  • Der zerlegte „Herkules von Gelsenkirchen“ von Markus Lüpertz vor dem Abtransport aus der Düsseldorfer Gießerei.
  • Eine Druckgrafik zum „Mae West“-Projekt von Rita McBride und eine Simulation der Georg-Elser-Skulptur von Ulrich Klages

Nun könnte man meinen, solche Symbolpolitik hätte mit der Moderne ihr Ende gefunden. Bis man erfährt, dass sich Gelsenkirchen einen 18 Meter großen Herkules von Markus Lüpertz auf den 85 Meter hohen Zechenturm von Nordstern 2 hebt. Macht zusammen 103 Meter Lüpertz. Der gute alte Kasseler Herkules ist dagegen ein Wicht, keine 40 Meter samt seiner Sockelpyramide groß. „Herkules ist ein Troubleshooter“, sagte Lüpertz der „New York Times“. „Er muss unmögliche Dinge erledigen, aber er hat eine Lösung für die Probleme.“ Er sei also ein gutes Symbol für die Ruhrregion, die sich als kulturelles Zentrum neu erfindet. Was freilich, weil er ja kein Symbolist sei, „nur eine Koinzidenz ist“. Das glauben wir ihm nicht ganz, denn die Verbindung von Herkulesaufgabe und Ruhrgebiet ist allzu naheliegend, um hier nicht biedere Illustration zu wittern. Unterm Herkules residiert übrigens Karl-Heinz Petzinka als Chef des Immobilienkonzerns THS, noch unter Lüpertz als Architektur-Professor an die Düsseldorfer Kunstakademie berufen und heute einer der Direktoren von Ruhr.2010.

Aber Gelsenkirchen, mag es eine Koinzidenz sein oder nicht, teilt seinen neuen Drang nach Größe. Berlin setzt dem Hitler-Attentäter Georg Elser am Ort der ehemaligen Reichskanzlei ein 17-Meter-Denkmal von Ulrich Klages in Form einer Stahlsilhouette, in München entsteht gerade ein 52 Meter hohes Karbon-Hyperboloid von Rita McBride. „Mae West“ heißt es, wohl wegen der kolossalen Kurven.