Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

der Kunstbetrieb liebt seinen inneren Frieden. Systemkritik wird als Kunstform gern geduldet, nicht aber ein Tabubruch in Form von klaren Botschaften. So ging auch bei der letzten „Art Cologne“ die eigentliche Provokation - weggeschwiegen oder einfach überhört - im Getümmel unter. Dabei hatte Bernhard Wittenbrink einfache Dinge deutlich ausgesprochen. „Nehmt den Künstlern alle Förderungen weg“, so der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Deutscher Galerien (BVDG), „und wir werden wieder gute Kunst haben.“ Es sei an der Zeit, die herrschende Förderpolitik dahingehend zu überprüfen, ob wir auf diesem Weg das Ziel erreichen, guter Kunst in unserer Gesellschaft wieder den Stellenwert zu geben, der ihr gebührt. Wir bräuchten „nicht eine Förderung, die den Künstler in sein viertes Lebensjahrzehnt trägt, ohne dass es eine Notwendigkeit gibt, sein künstlerisches Schaffen zu hinterfragen“.

Klassiker in Baden-Württemberg: Schloss Solitude bei Stuttgart

Also: Der oberste Standesvertreter der Galeristen fordert, alle Kunstpreise und Stipendien abzuschaffen, um so die Qualität der Kunst zu steigern. Erst auf Nachfrage melden sich die Kritiker: „absoluter Mumpitz“ sei Wittenbrinks Logik, so Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Ein „schlimmer Finger“, sei dieser Wittenbrink, so Hans Wilhelm Sotrop, Sprecher des Vorstands des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler BBK. Der heilige Konsens war verletzt: Kunst hat immer zu wenig Geld, also ist jedwede Förderung erst einmal richtig und begrüßenswert.

Ganz abgesehen davon, dass ein Galeristenvertreter eine andere Meinung davon haben wird, was denn „gute Kunst“ ist, als ein Kulturfunktionär oder ein Künstlervertreter: Es lohnt sich, einen Augenblick über Wittenbrinks Argumentation nachzudenken. Die neuesten offiziellen Zahlen zum deutschen Kunstpreiswesen stammen aus dem Jahr 2000. Damals wurden zirka 1000 Preise und Stipendien vergeben, dabei etwa 2,3 Millionen Euro wie per Gießkanne verrieselt. Die Förderpreise sind meist an eine Altersgrenze von 35 Jahren gebunden (was für Künstlerinnen wegen der Kinderbetreuungszeiten ungerecht ist). Die hochdotierten Ehrenpreise ohne solche Beschränkung bekommen meist Künstler, die es ohnehin nicht mehr nötig haben.

Der Andrang ist gewaltig: Deutschland unterhält heute 52 Kunsthochschulen mit über 31000 Studierenden. Die Künstlersozialkasse zählt im Jahr 2005 8655 Berufsanfänger in Sachen Bildende Kunst. Was können die gut gemeinten Preise und Stipendien da eigentlich bewirken? Der Markt bleibt zu klein für zu viele Bewerber.

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Wer dauerhaft überleben will, muss sich durchsetzen. Nicht zufällig verschwinden viele Künstler kurz bevor sie 40 Jahre alt werden von der Bildfläche der Kunstvereine und Themenausstellungen. Mit der auslaufenden Hoffnung auf Subvention scheitert der Lebensentwurf. Wer bis dahin keine gute Galerie an seiner Seite hat, wer keine Sammler für sich gewonnen hat, ist chancenlos im Kunstbetrieb. Stipendien, das sollten sich die Auslober vor Augen halten, haben nur Sinn, wenn Sie mit einer Professionalisierung der Stipendiaten verbunden sind. Ein paar selige Monate im Heidedorf entpuppen sich sonst bald als verlorene Zeit.