Art: Barrierefreier Zugang – jetzt auch zur documenta!

Art: Barrierefreier Zugang – jetzt auch zur documenta!

EDITORIAL

chefredaktion@art-magazin.de

  • Die Jatiwangi art Factory ist ein Kollektiv aus Indonesien, das soziale mit künstlerischen Aktivitäten verknüpft - typisch für die d 15
  • Mitglieder des künstlerischen Teams vor dem documenta-Hauptquartier in der Kasseler Innenstadt

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

ich kann mich an Momente erinnern, als die halbe Redaktion nächtlich ums Faxgerät versammelt stand, aus dem in letzter Minute die hochgeheime Künstlerliste der nächsten documenta ratterte. Zähe Verhandlungen mit der gottgleichen Künstlerischen Leitung waren vorausgegangen, Bittgesuche, Flehen, Zittern, damit wir nur rechtzeitig unsere documenta-Hefte vorbereiten konnten.

Völlig anders diesmal: Über ein halbes Jahr vorab lässt ruangupa die heilige Liste über das Obdachlosenmagazin »Asphalt« verbreiten, 1,10 Euro von jeder Ausgabe bekommt der Verkäufer in die eigene Tasche zum Lebensunterhalt. Dazu erklärt die documenta-Fiffteen-Leitung hier völlig frei von allem Theorie-Bombast ihr Konzept und Vorgehen in schnörkellosem, gut lesbarem Deutsch.

Das passt zum Bild, das meine Kollegin Ute Thon in ihrer großen Reportage (ab Seite 52) von ihrem Vorab-Besuch in Kassel zeichnet: Die ruangrupa-documenta gibt sich humorvoll, sympathisch, transparent und sogar sprachlich barrierefrei. Und offenkundig meint sie es wirklich ernst mit ihrem zentralen Kollektiv- gedanken: Dass auch gestandene Kunstmagazin-Redak- tionen vor jeder Documenta Namen googeln müssen, gestehe ich gern. Aber dass die Einladungsliste fast aus- schließlich Gruppen enthält, das hat es noch nie gegeben.

Ist das nun der Abschied vom einsamen Atelier-Genie, vom Maestro-Kurator? Ich glaube nicht, diese Rollen sind ewig, ob männlich, ob weiblich. Aber ich weiß nach dem Lesen der Geschichte, dass in dem unter Lockdown-Bedin- gungen gewachsenen Netzwerk über alle Zeitzonen ge- rade etwas wirklich radikal Neues für das alte Documenta- Modell geplant und ausprobiert wird.

Aber ob es auch gut wird, in Kassel? Das wissen wir, Künst- lerliste hin oder her, erst zur Eröffnung am 18. Juni 2022.

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