Was Autobahnen mit Kunst gemeinsam haben
Was Autobahnen mit Kunst gemeinsam haben

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
wir sind in Deutschland bekanntlich gut im Nörgeln, im Barmen und im Selbstmitleid. Da macht der deutsche Kunstbetrieb keine Ausnahme. Irgendwie fehlt überall und immer: Geld. Es ist Klagen auf höchstem Niveau, ähnlich wie bei den Brücken: Weil die Infrastruktur so dicht ist, braucht man auch große Mittel für deren Unterhaltung. Ich bin aber fest entschlossen, gut zu finden, dass die Autobahn bis in den letzten Winkel reicht – und dass auch dort immer ein Museum gleich um die Ecke ist. Rund 700 Kunstmuseen gibt es in Deutschland, dazu 300 Kunstvereine, viele kümmern sich um das Erbe, fast alle aber auch um die aktuelle Kunst. Wie einzigartig diese Strukturen sind, die Wissen und Diskussionen bis in die tiefste Provinz tragen, zeigt ein Blick ins europäische Ausland: In Großbritannien muss die TATE GALLERY, in Frankreich das CENTRE POMPIDOU mit Zweigstellen Entwicklungshilfe leisten, damit man auch jenseits von London und Paris mal zeitgenössische Kunst zu sehen bekommt. Besonders krass ist die Lage in Italien, wo in diesem Herbst in Prato 400 verzweifelte Künstler, Kuratoren und Kritiker drei Tage lang darüber diskutiert haben, warum die aktuelle Kunst der Kulturnation seit Jahrzehnten international praktisch keine Rolle mehr spielt. Ergebnis: Es fehlen öffentliche Sammlungen, zeitgenössische Museen, Stipendien, Preise, Kunstvereine. Kurz: Es fehlt all das, was das Kunstleben hier in Deutschland, mal ehrlich betrachtet, einfach paradiesisch macht. Und um das etwas schiefe Bild mit den maroden Brücken wieder aufzugreifen: Es ist diese Infrastruktur, die allen nützt, letztlich aber auch vielen Künstlern der »Exportnation« zu internationalem Erfolg verhilft.
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Im Kunstparadies Deutschland kommt große Kunst auch in die Provinz. Hier drei aktuelle Beispiele von hundert Möglichkeiten: TOBIAS REHBERGER IM KUNSTRAUM GRÄSSLIN, ST. GEORGEN -

ROSA LOY UND NEO RAUCH BEI DEN »FREUNDEN AKTUELLER KUNST« IN ZWICKAU -

WALKER EVANS IM JOSEFALBERS-MUSEUM QUADRAT IN BOTTROP
Wir haben in diesem Heft ausschließlich Geschichten zusammengetragen, die in diesem Land spielen: Es konnte dabei nicht um ein komplettes Bild gehen, sondern nur um Aspekte. Wir wollten Ihnen (und ein bisschen auch uns selbst in der Redaktion), mal wieder zeigen, wie gut wir es haben – hier in Deutschland, wo schwierige Kunst genauso eine breite Bühne hat wie Schwelgerei in gesicherten Werten. Viel Vergnügen mit diesem »Deutschland-Spezial«!
PS: Zu viel Nabelschau? Der Kameruner Ethnologe Flavien Ndonko erforscht hier das Wesen der Eingeborenen – über ihr höchst merkwürdiges Verhältnis zum Hund. Ab Seite 92