Orientierungshilfe im Kunstterrain

Orientierungshilfe im Kunstterrain

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser, seit Jahren ist globalisiertes Kunstterrain extrem unübersichtlich: Es gibt keine verlässliche Ordnung der Stile und Gruppierungen, auch die Themen sind kaum eine Orientierungshilfe: Was nützt es schließlich zu wissen, dass sich ein Künstler mit Globalisierung oder Medienkonsum beschäftigt? Damit ist über die künstlerische Leistung wenig gesagt. Zudem wechseln viele Künstler die Technik von Arbeit zu Arbeit: Aus Malern werden Filmer, aus Performern Fotografen, praktisch alles ist Skulptur. Aus dieser Unübersichtlichkeit wächst Unsicherheit bis hin zum Überdruss: Scheinbar steht jeder Künstler, jedes Werk für sich und lässt sich nur aus sich selbst heraus erklären – was angesichts der Fülle immer neuer Namen keiner leisten kann.

Wir machen mit der Titelgeschichte dieses Heftes (ab Seite 20) ein Angebot, das Ihnen helfen soll, das scheinbare Chaos der aktuellen Kunst zu ordnen. Wir geben Ihnen einen Kompass, den sie in jeder beliebigen Ausstellung einsetzen können. Er soll dazu beitragen, die Kunst auf neue Weise lesbar zu machen.

Statt die Künstler nach ihrer Herkunft, ihrem bevorzugten Medium oder ihren „Interessen” (wie es gerade in Katalogtexten Mode ist, als ob Interesse allein schon eine Errungenschaft wäre) zu sortieren, haben wir zehn fundamentale Strategien ausgemacht, die ihren Ursprung fast allesamt in der Klassischen Moderne haben. Was kaum wundert: Roger M. Buergels letzte Documenta in Kassel wurde hart verrissen, auch in art . Aber mit seiner Hauptthese „Ist die Moderne unsere Antike?” hat er Recht behalten: So wie sich die abendländische Kultur seit dem Mittelalter an den Idealen und Erfindungen des klassischen Altertums abgearbeitet hatte, bezieht sich heute fast alles auf den entgrenzenden Aufbruch der Kunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wobei diese Anlehnung oft ganz unbewusst und unwillkürlich geschieht, so selbstverständlich ist der Umgang mit den Provokationen von gestern. Die genialen Erfindungen von damals sind längst zum Handwerkszeug der Kunst geworden, mit dem täglich Werke produziert werden, die an Genialität den Alten nicht nachstehen. Auch das ist uns in der Redaktion und Autor Till Briegleb beim Grübeln und Streiten über diese Titelgeschichte wieder tröstlich klar geworden: Es hängt zwar alles mit allem zusammen, aber es gibt eben doch viel Neues unter der Sonne, das es zu entdecken lohnt.