Die Gefahren der schönen Klischees

Die Gefahren der schönen Klischees

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

werden zu hohe – oder auch nur zu genaue – Erwartungen nicht erfüllt, dann kann das richtig krank machen. Zumindest Japaner haben angeblich das Problem. „Paris-Syndrom“ nannte der Psychiater Hiroaki Ota das komplexe Leiden, das viele seiner Landsleute speziell bei Reisen in die französische Hauptstadt befällt. Es äußert sich in leichten Angstattacken bis hin zum Verfolgungswahn, und es wird ausgelöst durch die tiefe Enttäuschung darüber, dass das echte Paris so gar nicht den lieben Klischees entspricht. Zwei Lehren ergeben sich daraus: Japaner sind anscheinend die letzten wahren Großstadt-Romantiker. Und man tut immer gut daran, sich offen für Neues zu zeigen. In diesem Paris-Spezial jedenfalls können Sie völlig gefahrlos schon zu Hause schwelgen: von den Streifzügen des Nachtschwärmers Jerry Berndt über die Lebensreise des Malgenies Gustave Courbet bis zu den besten jungen Künstlern der Stadt, die längst nicht mehr am Montmartre, sondern in den wilden Außenbezirken ihre Ateliers haben. Und wer dann den Führer (ab Seite 64) unseres Korrespondenten Heinz Peter Schwerfel mit auf die Reise nimmt, wird sich im aufregenden, neuen Paris ganz bestimmt nicht in den alten Klischees verfangen.

In der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig gibt es übrigens ein von Jun Yang gestaltetes Café „Paris Syndrom“, das ab Ende November zum Hotel erweitert wird. Übernachtung mit Frühstück: 100 Euro, Erwartungs-Enttäuschungs-Training inklusive.

Enttäuschungstraining inklusive: Café „Paris Syndrom“ von Jun Yang in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig

Es ist an dieser Stelle schon mehrmals über die Wirrungen und Verirrungen der jüngeren Hamburger Kulturpolitik geschrieben worden, wo sich seit einigen Jahren wie im Brennglas zeigt, was die Koppelung von Spardrang und Konzeptlosigkeit anrichten kann. Nun zeigt ein frischer Kultursenator, Reinhard Stuth, was passiert, wenn auch noch Unkenntnis und Ignoranz ins Spiel kommen. Stuth kappt nassforsch die Theateretats, und er schließt kurzerhand das Altonaer Museum, ein zwar etwas verschlafenes, aber ehrwürdiges Haus mit großartigen Sammlungen. Er tut es unangefochten von rechtlichen Bedenken, auch der Spareffekt ist dubios. In Hamburg will man ganz Deutschland beweisen: Es geht auch ohne Kultur.