Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

wenn der Tsunami schon durchs Meer fegt, halten die furcht- oder ahnungslosen Besatzungen der Schiffe noch treu den Kurs. So auch die Institute des Kunstbetriebs in Zeiten der Bankenkrise. Sie lässt große Teile des Kapitals verdampfen, auf das die Auktionshäuser und Galerien noch im Sommer ihre Kalkulationen gründeten. Viele der neuen Kunstsammler, die den Boom der letzten Jahre tragen, stammen aus „geldgetriebenen Branchen“, wie Klaus Gerrit Friese vom Bundesverband Deutscher Galerien es umschreibt. Bald, bei den Herbstauktionen in New York und bei der Art Basel in Miami, wird sich zeigen, ob das Beben an der Börse den Kunstmarkt nur schlingern oder richtig baden gehen lässt.

„Kaikai Kiki Shop at MMK Opening of ©Murakami. Takashi Murakami/Kaikai Kiki Co., Ltd. All Rights reserved“

Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main hat bekanntlich die schnittige Form eines Tortenstücks und wird auch dieser Monsterwelle trotzen. Noch bis zum 4. Januar 2009 zeigt dort Takashi Murakami seine knallbunt-gruselige Manga-Kunst. Direktor Udo Kittelmann hat ihm das Haus komplett überlassen, für die Zeit der Schau heißt es schlicht „©Murakami“ (siehe Seite 12). Ob der Japaner ein großer Künstler ist, darf bezweifelt werden. Aber er ist ein Marketinggenie, das jedes Detail im Auge behält – was auch die absurde Bildunterschrift links erklärt, die ganz seinem Diktat folgen musste. Wenn andere begnadete Selbstvermarkter der aktuellen Kunst wie Damien Hirst oder Jeff Koons nur damit beschäftigt sind, ihre Preise in schwindelnde Höhen zu treiben, verfolgt Murakami eine krisenfeste Discount-Strategie. Das ganze Museum wird zum Showroom, im angeschlossenen Shop seiner Firma Kaikai Kiki ist für jedes Portemonnaie der passende Murakami zu holen: Button, Kissen, Schmuck, alles vom Künstler entworfen. Oder vielmehr war alles zu haben: Wenige Tage nach der Vernissage war der Shop „praktisch ausverkauft“, wie die Pressestelle meldet. Aber da Murakami auch Vertriebsprofi ist, liefert er sicher schnell nach, damit die Kunstversorgung in der Bankenstadt Frankfurt auch in Zeiten sinkender Bonuszahlungen gesichert ist. Aber man soll sich nicht täuschen: Im Supermarkt der Kunst gibt es zwar solide Marken ware, aber auch die hält bekanntlich oft nur eine Saison.

Viele werden sich noch an die faszinierende Serie er innern, für die art die wichtigsten Schriftsteller der neunziger Jahre gebeten hat, Porträts zu deuten. Wir starten die Reihe neu mit einer neuen Gene ration großartiger Autoren. Viel Freude mit „Blickwechsel“ – ab jetzt in jedem Heft!

Ihr Tim Sommer

Schriftsteller als Autoren der neuen art-Serie: Juli Zeh, Andreas Maier, Zoë Jenny, Thomas Glavinic, Tanja Dückers, Albert Ostermaier (von oben links im Uhrzeigersinn)