Liebe Leserin, lieber Leser,
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es ist noch gar nicht so lange her, da versuchte ein deutscher Staat seine Finanzprobleme auf Kosten der kulturellen Substanz zu lösen. Systematisch hatte die „Kunst & Antiquitäten GmbH“ des Alexander Schalck-Golodkowski die Bibliotheken, Depots und Antiquariate in Ostdeutschland geplündert, um auf dem westlichen Kunstmarkt Devisen für das bankrotte DDR-Regime zu beschaffen. Nach der Wende war die Empörung groß, auch wenn freilich wenig zurück in die öffentlichen Sammlungen gelangt ist.
Wer hätte gedacht, dass sich gerade das doch recht wohlhabende Baden-Württemberg einmal auf solche Methoden besinnen würde? Allerdings lassen sich hier und heute zum Glück derartige Angelegenheiten nicht mehr mit der dazu nötigen Diskretion erledigen. Um das badische Fürstenhaus vor dem Bankrott zu retten, plante Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) den Verkauf von Handschriften aus der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, bei denen ungeklärt ist, ob sie Landes- oder Fürsteneigentum sind. Der Erlös sollte die alten Zähringer für die Sanierung von Schloss Salem entschädigen, wo Familienoberhaupt Bernhard von Baden ein Weingut betreibt. Erst nach einem weltweiten Sturm der Empörung ruderte Oettinger zurück, nun soll das Geld von Sponsoren und aus der Landesstiftung kommen. Außerdem sollen dafür den Museen die Ankaufsmittel gekürzt werden. Zwar ist immer noch nicht einzusehen, warum das funktionslose Fürstenhaus ausgerechnet aus Mitteln der Kultur- und Wissenschaftsförderung beschenkt werden soll, aber so ist wenigstens das Schlimmste verhindert worden.
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Ministerpräsident Günther Oettinger (rechts) und Prinz Bernhard von Baden. Links die Handschift 4 (1490/92) aus dem Zisterzienserkloster Tennenbach
Oettingers schlaues Plänle hat Baden-Württemberg vor aller Welt gründlich blamiert. Aber auch parallele Geschichten wie Krefelds fataler Plan, eine Museumssanierung mit dem Verkauf des wertvollsten Bildes zu finanzieren (siehe Interview ab Seite 125) zeigen, wie der Bewusstseinsverlust grassiert. Über Jahrhunderte zusammengetragene und in wirklichen Not- und Hungerzeiten bewahrte Museumsschätze gelten den Sachwaltern des öffentlichen Interesses plötzlich nur als totes Kapital. Kein Wunder, dass diese scheinbar ungenutzten Millionenwerte die Fantasie von Stadtkämmerern und Finanzministern auf ungeahnte Touren bringen. Aber, man kann es nicht oft genug betonen: Die Werte unserer Sammlungen sind nicht in Euro und Dollar zu messen, sie sind zu Recht dem Verwertungskreislauf entzogen und dienen uns als Speicher der Erinnerung, den wir für kommende Generationen bewahren und ergänzen müssen. Damit sich Politiker nicht zu Heuschrecken am eigenen Land entwickeln, die langes Wachstum dem schnellen Gewinn opfern, hilft derzeit wohi nur Wachsamkeit.