EDITORIAL: Zwei Künstler im Rückspiegel der deutschen Geschichte

EDITORIAL: Zwei Künstler im Rückspiegel der deutschen Geschichte

CHEFREDAKTEUR

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  • Werner Peiner (rechts) zeigt Hermann Göring 1938 seine Meisterschule für Malerei in der Eifel – die nach dem prunkliebenden Nazibonzen benannt war
  • Kunstfunktionär im Kreise der Partei- und Staatsführung: Willi Sitte (Mitte) und Erich Honecker (vorn) bei einer Ausstellung zur bildenden Kunst der DDR 1984

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

zwei Geschichten in diesem Heft haben einen überraschenden und ganz ungeplanten Schnittpunkt. Er liegt in Kronenburg in der Eifel: Dort unterhielt Werner Peiner seine Hermann-Göring- Meisterschule für Malerei, in der er Gobelins mit Schlachtszenen für Hitlers Neue Reichskanzlei entwarf. Der Ehrgeizling Peiner, der mal ein ganz passabler neusachlicher Maler gewesen war, hatte bei der prunkliebenden Parteigröße so lange antichambriert und gesäuselt, bis man ihm diese eigene Lehranstalt für Blut-und- Boden-Kunst spendierte. Peiner war einer der privilegiertesten Maler des Naziregimes und gelangte so auf die Liste der »Gottbegnadeten«, denen das Deutsche Historische Museum gerade eine fundierte Ausstellung widmet (Bericht ab Seite 80).

Eine zweite aufwendig recherchierte Schau (Bericht ab Seite 58) fächert parallel in Halle/Saale das Werk von Willi Sitte auf, dem obersten Kunstfunktionär der DDR. Der hatte an Peiners NS-Akademie in der Eifel studiert, aber dort den Aufstand geprobt, weil er, statt lernen zu können, sich als Arbeitssklave für Peiners Gobelinproduktion missbraucht fühlte. Sitte wurde der Schule verwiesen und an die Front geschickt.

Die Hallenser Kuratoren weisen erstmals nach, dass es mit Sittes Widerstandslegende von Desertion und Eintritt bei den italienischen Partisanen nicht weit her war. Sie zeichnen über die Jahrzehnte den Weg von einem ehrlich suchenden Maler hin zu einem, der sich anmaßte, bestimmen zu können, wer den Beruf ausführen durfte und wer nicht, der eine reibungslos staatskompatible Kunst erfand und sich in Kungelnähe zur korrupten Parteiführung sonnte.

Gleichsetzen darf man die Lebenswege von Peiner und Sitte nicht – vergleichen kann man sie schon. Denn Peiner und Sitte zeigen, jeder auf seine Weise, wie verführerisch die Nähe zur Macht für den machtlosesten aller Berufe ist, wenn das System die Chancen bietet. Peiner richtete sich nach dem Krieg bequem in einer Burg ein und bekam lukrative Aufträge vom Gerling- und vom Provinzial-Konzern. Um Willi Sitte wurde es einsam nach dem Ende der DDR, seine Bilder verschwanden in den Depots. Gut, dass jetzt zwei Museen so heiße Eisen anpacken und mit dem klaren Blick der Wissenschaft in den Rückspiegel der deutschen Geschichte schauen.

PS: Wie ein Künstler mit den Mächtigen umgeht und dabei sein Talent nicht verrät – das lesen Sie in der Titelgeschichte über Francisco de Goya – aber das ist freilich ein ganz anderes Kaliber.