Neuer Kunstkontinent Los Angeles

Neuer Kunstkontinent Los Angeles

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

man stelle sich einmal vor: Ein deutsches Museum oder Universitätsinstitut würde systematisch alle wichtigen Maler, Bildhauer, Galeristen und Kuratoren besuchen, um sich ihre Lebensgeschichte erzählen zu lassen, würde die Archive und Nachlässe sichten, und – mit dem Versprechen der akribischen wissenschaftlichen Aufarbeitung – Kaufangebote für die Briefwechsel, Kataloge, Ateliertagebücher machen, um so zur Lebenszeit der Protagonisten ein großes Zentralregister zur Kunst der Nachkriegszeit zu erstellen. Völlig undenkbar: weder gäbe es hier dafür Geld noch genügend Interesse an der Gegenwart, die eben zur Geschichte wird.

Das Getty Research Institute aber macht seit einigen Jahren genau das für die Kunst Kaliforniens, die so lange im Schatten der New Yorker Szene stand. Mit einem großangelegten „Oral History”- und Sammlungsprogramm entdeckt die Wissenschaftsakropolis über Los Angeles einen neuen Kontinent vor der eigenen Haustür, wie uns Thomas Gaehtgens im art- Interview (siehe Seite 34) erzählte. Der deutsche Kunsthistoriker, im Getty-Paradies für die Forschung zuständig, kann hier aus dem Vollen schöpfen. Und da die Geschichte in Amerika spielt, mündet all die Forschungsarbeit auch in ein solides Markenprodukt mit einem Werbeslogan, der Gänsehaut macht. Über 60 Institute haben sich in diesem Herbst und Winter unter dem Kampfruf „One Era. A Million Moments of Impact” für das Festival „Pacific Standard Time. Art in L. A. 1945–1980” zusammengetan, um die West Coast Art ein für alle Mal auch öffentlich in den Rang zu setzen, den sie unter Eingeweihten schon lange hatte: Sie ist die freiere, wildere, experimentellere amerikanische Kunst.

  • Thomas Gaehtgens (oben links) ist Forschungschef im Getty Center hoch über Los Angeles. Das hier initiierte Festival „Pacific Standard Time” feiert eine Szene, die von Designikone Charles Eames (links) bis zu Hollywoodstar James Franco reicht

art hat das zum Anlass genommen, dieses ganze Heft L. A. zu widmen: seine Newcomer, seine Stars, dazu alle wichtigen Adressen und die aktuellen Ausstellungen für das wichtigste Kunstreiseziel der Saison. Ein kleiner Trost für alle mit Flugangst: Ab März 2012 gibt es die zentrale Ausstellung des Getty dann im Berliner Martin-Gropius- Bau zu sehen.