Berlin ist normal – und das ist auch gut so!
Berlin ist normal – und das ist auch gut so!
TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
schon wieder? Und warum gerade jetzt? Berlin-Spezials haben bei ART eine Tradition, seit in West-Berlin die »Jungen Wilden« tobten. Im Rückblick zeigen die Hefte die komplette Metamorphose vom subventionierten Aussteigerparadies hinter der Mauer über die schrankenlosen Jahre der Wiedervereinigung bis hin zum »Atelier der Welt«, zu dem sich Berlin im letzten Jahrzehnt entwickelt hatte.
Wer begreifen will, wie die Kunststadt Berlin jetzt und heute tickt, dem empfehle ich zwei Texte aus diesem Heft als Einstiegslektüre: Peter-Matthias Gaedes hoch amüsante Reportage zum Gallery Weekend, bei dem sich Society und Szene trifft, und Kolja Reichardts kluge Analyse über das erstaunliche Zeitphänomen des »fitten Künstlers«, der seinen Körper ebenso trainiert wie seine Marktperformance.
Sie werden lernen: Berlin hat viel von seinem Charme des Bohemehaft-Unperfekten eingebüßt. Das liebe Klischee vom ewigen Abenteuerspielplatz, das so viele Touristen lockt: Es greift nicht mehr. Berlin ist im Rahmen seiner Möglichkeiten normal geworden. Und das ist keine schlechte Nachricht! Denn der Rahmen der Möglichkeiten ist hier nach wie vor schier unbegrenzt. Und warum sollte es hier, so viele Jahre nach dem Mauerfall, immer noch grundsätzlich anders laufen als in Paris, London oder New York?
Die Klage über explodierende Mieten setzte praktisch direkt mit Günter Schabowskis legendärer Pressekonferenz ein – und tönt bis heute fort. Sie hat die Künstler auf die ganze Stadt verteilt, wo immer sich passende Inseln finden. Und sie hat die Galeristen von einem Viertel ins nächste getrieben, immer der Gentrifizierung voran: von Kreuzberg nach Mitte, dann die Karl-Marx-Allee entlang, zurück zur Potsdamer Straße, weiter nach Neukölln und Schöneberg, um dann plötzlich wieder am guten alten Ku’damm zu landen. Dieser Zug hat Berlin endlich wieder eine Vielfalt auf Weltstadtniveau gebracht – und diesem Heft den wohl umfangreichsten Serviceteil der ART-Geschichte. Um den Reichtum und Wahnsinn dieser Kunststadt zu entdecken, reicht weder ein Wochenende noch ein Leben. Fangen Sie einfach irgendwo an!
PS: Auch wenn sich vieles ändert, manches bleibt sich gleich: Ursula Sax und Markus Lüpertz waren schon im ersten Berlin-Spezial von ART 1985 dabei!