Kulturgut oder Ware? Was hinter dem Streit steht
Kulturgut oder Ware? Was hinter dem Streit steht
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Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de -

Kunst als globale Währung bei der »Sotheby’s«-Auktion im Juli in London, mit Werken von Hockney, -

und Basquiat; rechts: Kunst als Kulturgut: Raffaels »Sixtinische Madonna« in der »Gemäldegalerie Alte Meister« in Dresden
Liebe Leserin, lieber Leser, auch wenn der Streit um das geplante Kulturgutschutzgesetz in die Sommerpause getreten ist, wird er doch im Herbst wieder aufflammen. Denn hinter dem Gesetz steht ein handfester Interessenkonflikt. Es geht, so scheint mir, letztlich um zwei konkurrierende Kunstbegriffe. Da ist zunächst die historisch gewachsene Vorstellung, dass Kunst an einen bestimmten Ort gehört, wo sie auch einen Zweck erfüllt. Über Jahrhunderte haben Künstler, auch als man sie noch gar nicht so nannte, so produziert: für eine Kirche, für einen Hof, für eine Stadt. Natürlich gab es Raub, Plünderung und Handel, aber auch wenn die Kunst zur Trophäe wurde, so blieb sie doch in der Regel lange Zeit verlässlich an einem Ort und konnte dort, das ist das eine Zauberwort der Debatte, »identitätsstiftend« wirken. Diese Vorstellung lebt in unseren Köpfen fort, auch wenn wir wissen, dass Kunst längst eine Handelsware ist.
Wir verbinden das Erlebnis von Kunstwerken unweigerlich mit den Orten, an denen wir ihnen begegnet sind. Aber ortsbezogene Kunst, früher die Regel, ist heute der Ausnahmefall. Seit freie Künstler für einen bürgerlichen Kunstmarkt produzieren, ist auch ihre Ware »frei« (das ist das zweite Zauberwort der Debatte), ein Handelsgut, das mit dem Besitzer den Ort wechselt, potenziell unendlich oft – bis zum endgültigen Verbleib im Museum.
Heute, wo Bilder ein Renditeversprechen tragen und sogar wie eine globale Ersatzwährung funktionieren, hat sich dieser Charakterzug plötzlich und extrem verschärft. Und damit auch der Konflikt, der dem Streit um das Gesetz zugrunde liegt: Es konkurriert das Interesse der Gemeinschaft, Kunstwerke fest und eben »identitätsstiftend« zu verorten, mit dem Interesse des Handels, Kunstwerke möglichst lange »frei« und gewinnbringend zirkulieren zu lassen. Beide Ansätze sind berechtigt, man wird deshalb den Konflikt auch mit dem besten Gesetz nicht beilegen können. Aber ihn darin klug und ausgleichend zu moderieren – das wird die Aufgabe von Kulturstaatsministerin Monika Grütters sein.
ps: Die grandiosen Bilder von Wim Wenders in einem Magazin erlebbar zu machen ist eine Herausforderung. Wir haben uns für einen sogenannten Altarfalz entschieden: Das Bild kann nach rechts und links ausgeklappt werden wie ein Altar – siehe Seite 50!