Wo die öffentliche Hand zugreifen muss

Wo die öffentliche Hand zugreifen muss

Tim Sommer, Chefredakteur

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Liebe Leserin, lieber Leser, fast zehn Jahre dauerte das Ringen und Feilschen um die hessische Holbein-Madonna, dann sicherte sich Reinhold Würth das Bild für sein schwäbisches Privatmuseum (siehe Bericht Seite 129). Im Frankfurter Städel, wo es seit 2003 als Leihgabe derer von Hessen hing, ist man enttäuscht, doch man hat sich nichts vorzuwerfen. Direktor Max Hollein hatte 40 Millionen Euro aufgeboten, aus dem eigenen Ankaufsetat, aus Spenden, Stiftungen und Landesmitteln. Als das der Familie von Hessen nicht reichte, wurde Reinhold Würth angesprochen, ob er das Gemälde nicht gemeinsam mit dem Städel erwerben wolle. Zu kompliziert: Der Unternehmer und Sammler, geschätztes Privatvermögen rund vier Milliarden Euro, kaufte dann lieber allein zu einem nicht genannten Preis.

Es hätte wirklich schlimmer kommen können – aber eben auch besser! Die „Schutzmantelmadonna“, 1526 von Hans Holbein dem Jüngeren für den Basler Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen gemalt, ist ein Schlüsselbild der europäischen Kunstgeschichte, ein Meisterwerk von höchstem Rang, oft verglichen mit Raffaels Sixtinischer Madonna, wenn es darum ging, die Unterschiede der Kunst der Renaissance diesseits und jenseits der Alpen zu erklären. Deshalb wurde das Bild mit Exportverbot belegt, was auch den Verkauf über ein internationales Auktionshaus verhindert hat, wo es wohl über 100 Millionen Euro eingebracht hätte. Reinhold Würth wird das Bild nicht der Öffentlichkeit entziehen, sein Altmeistermuseum in Schwäbisch Hall ist ein würdiger Platz für die Madonna. Nur: Wie lange hat diese Lösung mit Privat-, mit Firmen- oder Stiftungsbesitz Bestand? Es wäre die Pflicht der öffentlichen Hand gewesen, den Holbein als letz ten Altmeister solcher Qualität ein für alle Mal dem Markt zu entziehen und für die Gesamtheit zu erwerben. Wenn die Mittel aus dem Haushalt nicht reichen, hätte man sie durch Verkauf von Liegenschaften ergänzen können.

  • Käufer von Meisterwerken früher und heute: Kurfürst August III. von Sachsen erwarb 1754 die Sixtinische Madonna, der Privatsammler Reinhold Würth kaufte 2011 die „Schutzmantelmadonna“ von Hans Holbein dem Jüngeren

Als August III. von Sachsen 1754 nach langem Feilschen den schwarzen Mönchen von San Sisto in Piacenza ihr Altarbild für 25 000 Scudi abhandeln ließ, war das auch eine atemberaubende, bislang nie gezahlte Summe für ein solches Gemälde. Der Kauf der Sixtinischen Madonna war die beste Investition, die in Sachsen je getätigt wurde.