Immer nur Frischfleisch für den Markt?

Immer nur Frischfleisch für den Markt?

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich höre schon das Stöhnen angesichts unserer Titelgeschichte: Nun also Indien! Waren es nicht eben noch die Araber, die Chinesen, die Polen, die Balten, die Russen, die Lateinamerikaner, die Afrikaner, die den „Kunstmarkt eroberten“, die „Szene beherrschten“, den „Trend bestimmten“? Ja, wer von der Kunst immer das ewig Wahre und allzeit Gültige erwartet, könnte verzweifeln über hektische Suchbewegungen, die der Betrieb in den letzten Jahren vollführt. Mit einer einfachen Erklärung ist man schnell bei der Hand: Die Galeristen brauchen Frischfleisch, junge und möglichst exotische Künstler mit großem Preiswachstumspotenzial, die man gleich gebündelt in den Markt drücken kann. Nur das nahe Verfallsdatum für die Saisonware aus Übersee wird angeblich verheimlicht.

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit – und erklärt auch nicht, warum es immer wieder Schwellenländer und Krisenregionen sind, die in den Fokus der globalisierten Kunstwelt geraten. Aus der enormen Reibung, den sozialen Spannungen und rasanten Umbrüchen erwächst eine Energie, die auch die Kunst erfasst. Die Künstler dort beschäftigen sich – oft zumindest – viel intensiver mit dem Leben, statt immer nur Kunst aus Kunst zu machen. Dass dabei Bilder und Skulpturen entstehen, die auch uns etwas sagen, hat eben damit zu tun, dass unser Schicksal heute viel enger mit dem Leben in China, Lateinamerika oder Indien verknüpft ist. Die Weltsprache der Kunst ergänzt die Medien bei der Erklärung der Globalisierung. Und was den Kunstbetrieb betrifft: Ich halte es für eine Riesenbereicherung, dass wir endlich vom transatlanischen Pingpong zwischen Amerika und Westeuropa erlöst sind. Von jedem Hype um eine Weltregion bleiben schließlich ein paar Künstler, die sich auf Dauer international etablieren.

  • Neue Kunstmarkt-Stars im Uhrzeigersinn v. l.: die Vereinigten Arabischen Emirate auf der Venedig-Biennale, Arbeiten der Inderin Shilpa Gupta und des Chinesen Geng Jianyi

Lesen Sie Birgit Sonnas faszinierende Reportage aus den Ateliers von Mumbai und Neu-Delhi ab Seite 20.