Liebe Leserin, lieber Leser,
Liebe Leserin, lieber Leser,

viel überraschender als all die neuen Auktionsrekorde war zuletzt diese Zahl: 120 000 Besucher haben die Daniel-Richter-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle gesehen. Das sind mehr, als die etwa zeitgleiche, sehr ausgefeilte und glänzend bestückte Malewitsch-Schau angelockt hat. Kurator Christoph Heinrich hatte gerade mit der Hälfte der Besucher gerechnet. Und jeder konnte sich überzeugen: Das war ein anderes Publikum als das, was sonst – und oft eben aus bildungsbürgerlicher Pflicht und guter Gewohnheit – unsere Museen füllt. Es waren junge Leute, zwischen 15 und 40 Jahre alt, und sie kamen nicht organisiert und mit Bussen, sondern in Cliquen, etliche gaben das Skateboard an der Garderobe ab. Unbeschwert plaudernd und deutend, näherten sie sich den verschlüsselten Bildern des gerade 45-jährigen Hamburger Malers, suchten nach politischen Bezügen und historischen Zitaten. Die Stimmung war schön, nicht andächtig, eher angeregt.
Ein ähnliches Bild gab es zur Neo-Rauch-Retrospektive 2006/07 in Wolfsburg, die 47 000 Besucher anzog. Oder im Frühjahr im Münchner Haus der Kunst. Hier ist es Hauspolitik, keine Besucherzahlen zu nennen. Aber auch ohne Statistik konnte man sehen, dass die Andreas-Gursky-Schau ein riesiger Publikumserfolg war – vor allem bei jungen Menschen. Übrigens: art hat allen drei Ausstellungen Titelgeschichten gewidmet – vorab, versteht sich.
Bislang hatten vor allem die Künstler der Klassischen Moderne als Publikumslieblinge gegolten: Mit Cézanne, Monet, van Gogh lassen sich, ein entsprechendes Werbebudget vorausgesetzt, Ausstellungserfolge fast beliebig züchten: Die Impressionistenschau aus der Sammlung des New Yorker Metropolitan Museum of Art in der Neuen Nationalgalerie in Berlin wird zwar nicht ganz an den MoMA-Erfolg von 2004 (1,2 Millionen Besucher) heranreichen, aber doch fast. Die Documenta ist ohnehin ein Selbstläufer – quasi automatisch wird auch die D 12 den Rekord von vor fünf Jahren (650000) knacken, wie all ihre Vorläufer auch.

Neu ist: Die zeitgenössische Kunst erobert den Museen auch jenseits von großen Trendschauen ein anderes, junges Publikum – und zwar ohne mächtigen Finanzierungspartner und ohne deutschlandweite Kampagne. Wohl nie seit der Moderne wurde frische Kunst so schnell akzeptiert, ja lieben gelernt wie heute. Das wird die Politik der Ausstellungshäuser und die Optik der Sponsoren verändern. Allerdings: Avantgarde ist ein militärischer Begriff. Die Aufgabe der Vorhut bleibt es, den Widerstand zu finden.
Ihr Tim Sommer