Liebe Leserin, lieber Leser,
Liebe Leserin, lieber Leser,

im Jahr 1905 gaben vier Studenten ihrer Künstlergemeinschaft den Namen „Brücke“. In Dresden, wo sonst. In keiner anderen deutschen Stadt ist das schöne Symbol der Verbindung so sinnfällig und allgegenwärtig. Was wäre die eben durch die Frauenkirche wieder komplettierte Silhouette der Altstadt ohne ihr Gegenüber auf der anderen Seite der Elbe, von wo aus man die Pracht erst ganz erfassen kann? Und so geht es hin und her über den Fluss, zwischen der Johannstadt und den Schlössern auf dem Elbhang, zwischen Loschwitz und Blasewitz. Schon die Aufzählung der Brücken liest sich hier wie ein Gedicht: Marienbrücke, Augustusbrücke, Carolabrücke, Albertbrücke, Blaues Wunder.
Und nun soll Dresden gerade wegen einer „Waldschlösschenbrücke“ den erst 2004 mühsam erlangten Status als Welterbe verlieren. Im Juli hat das UNESCO-Welterbekomitee bei seiner Sitzung in Vilnius das Dresdner Elbtal auf die Rote Liste der bedrohten Kulturstätten gesetzt. Wenn diese Brücke gebaut wird, so heißt es klar, ist der Ehrentitel verloren.
Wie so oft ist es die Eigendynamik einmal angeschobener Prozesse, die fatale Wirkung zeitigt. Schon Ende des 19. Jahrhunderts hat man über eine Brücke nachgedacht, die hier den Fluss quert, wo er bis heute in weitem Bogen durch unberührte Wiesen zieht. Erst das bundesdeutsche Finanzierungswesen machte die Pläne umsetzbar. Mit schöner Folgerichtigkeit müssen sich Land und Bund an den Kosten beteiligen – auch wenn sich das Vorhaben als verfehlt erweist. Dresden entscheidet allein. Und wird, wie manche andere Kommune zuvor, Opfer ihrer Gier nach bewilligten Fördermitteln, die man partout nicht mehr sausen lassen will, auch wenn sich die Einsicht wandelt. So baute Berlin seine Gemäldegalerie am Westberliner Kulturforum statt in der Mitte der inzwischen wiedervereinigten Stadt, so baut Leipzig seinen City-Tunnel, auch wenn statt des ICE nur die S-Bahn fährt.

Der Dresdner Architekturwettbewerb im Jahr 1997 hatte ein übles Ergebnis: Der Entwurf des Berliner Büros Henry Ripke (siehe auch Seite 18) verspricht ein Monstrum aus Stahl und Beton ohne Esprit und Grazie, das sich brutal und herrisch durch die Auen frisst. Aber erst beschlossen, sind die Pläne schon Gesetz. Ein Bürgerentscheid, der alternativlos – und ohne Verweis auf die Gefahren für den Welterbestatus – den Entwurf zur Abstimmung brachte, zementierte die Planungen und enthob sie sogar dem Zugriff der gewählten Volksvertreter. Die Drohung der UNESCO kam in letzter Stunde. Und hoffentlich bringt sie die Dresdner zur Besinnung, die drauf und dran sind, das Elbtal zwischen Blauem Wunder und Brühlscher Terrasse übel zu verschandeln. Anders als im 19. Jahrhundert ist heute ein Tunnelbau – wie von den Dresdner Brückengegnern favorisiert – an solcher Stelle kein Problem. Manchmal sind eben die Investitionen in unsichtbare Verbindungen die besten.