Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

jahrhundertelang war der Kölner Dom nur ein halbes Weltwunder. „So tritt uns hier ein Unvollendetes, Ungeheures entgegen, wo eben dieses Unfertige uns an die Unzulänglichkeit des Menschen erinnert, sobald er sich unterfängt, etwas Übergroßes leisten zu wollen“, sinnierte Goethe 1823 angesichts der mittelalterlichen Investitionsruine. Damals standen nur der Chor, niedere Teile des Langschiffs und ein grandioser Stumpf vom südlichen Turm, mit einem knarrenden hölzernen Kran darauf, wie zur Mahnung, dass es eigentlich weitergehen müsste. Aber erst das industrielle Zeitalter hat das Wunderwerk der Gotik zu Ende gebracht. 1842 wurde der Bau wieder aufgenommen, 1880 nach 632 Jahren endlich abgeschlossen.

2004 hat die Unesco den Kölner Dom auf die Rote Liste der bedrohten Kulturgüter gesetzt. Bei der Tagung des Welterbekomitees in Durban wurde das Verdikt in diesem Sommer bestätigt und zudem gedroht, der Dom würde im nächsten Jahr von der Welterbeliste gestrichen, wo er seit 1996 verzeichnet ist. Es sei denn, Köln verzichte auf den geplanten Bau von insgesamt fünf Hochhäusern - fernab auf der rechten, dem Dom gegenüberliegenden Rheinseite. Unter anderem soll die Europäische Agentur für Flugsicherheit in das Industrie- und Messeviertel in Köln-Deutz ziehen.

Das alles ist ein großes Missverständnis und zugleich ein interessanter Präzedenzfall für den Umgang mit dem historischen Erbe. Nichts hat seinen Wert nur aus sich selbst heraus. Die Tempel von Angkor in Kambodscha mit Bettenburgen davor: eine schauerliche Vorstellung. Eine Autobahn zwischen den ägyptischen Pyramiden? Ein McDonalds am Machu Picchu in Peru? Das v/äre Frevel. Die Unesco tut gut daran, auch das Umfeld von Welterbestätten streng zu bewachen, sie würden sonst schnell zum Opfer kurzsichtiger Kommerzialisierung.

In Köln aber liegt die Sache anders: Der Dom ist kein echt gotisches Erzeugnis. Er ist nicht das Denkmal einer Epoche, sondern das einer Stadt - oder eigentlich der Urbanität schlechthin: ein Denkmal für Beharrungsvermögen und Wandlungsfähigkeit, den Umgang mit einer ererbten Utopie und den gezielten Einsatz von Wirtschaftskraft. Als der Dom erdacht wurde, zuckelten Ochsenkarren durchs Reich, als er fertig wurde, raste die Eisenbahn.

  • Der Kölner Dom im Umfeld der Nachkriegsarchitektur: Links der Blick von Südosten über die Altstadt hinweg zum KölnTurm im Mediapark von 2001. Rechts im Vordergrund der von der Unesco kritisierte KölnTriangle- Turm auf der Deutzer Rheinseite. Vier weitere Hochhäuser sollen hier folgen

Im Zweiten Weltkrieg haben ungezählte Brand- und 14 Sprengbomben die Kirche getroffen. Neun Gewölbejoche brachen ein. Aber der Dom blieb stehen, während ringsum die alte Stadt ausradiert wurde. In dieser Wüste richteten die Kölner sich wieder ein. Sie restaurierten liebevoll den gotischen Dom und die zwölf romanischen Kirchen und folgten ansonsten dem Zeitgeschmack. Es ist heute nicht sonderlich schön in Kölns Zentrum, das Betonmonster „Domplatte“ lehrt Städteplaner in aller Welt das Fürchten. Aber die Stadt funktioniert wieder, sie lebt, hier wird Geld verdient und ausgeben.

Die Kathedrale wird von einer eigenen Bauhütte bestens gepflegt und stetig erneuert. Sie beherrscht die Silhouette der Altstadt heute so souverän wie vor Krieg und Wirtschaftswunder. Solange diese Majestät unangetastet bleibt, sollten die Kölner in ihrer Stadt planen und bauen dürfen, was sie wollen. Dem Wandel unnötige Schranken aufzuerlegen, widerspricht der Idee des Dombaus - und behindert letztlich seine Erhaltung, die nur eine lebendige Stadt zuwege bringt.