Kunst soll ja Fragen stellen, sagt man doch …
Kunst soll ja Fragen stellen, sagt man doch …
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TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR chefredaktion@art-magazin.de -

Indigener Protest fürs Gewissen (Simon Issát Marainen und Axel Andersson vor einem Stickbild von Britta Marakatt-Labba); hier eine Performance, sonst ein pinkfarbener Teppich (Maria Hassabi); schlechte Malerei für einen guten Zweck (Gordon Hookey) -
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LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
waren Sie schon auf der DOCUMENTA 14? Mir sind diesmal hundert Fragen in den Sinn gekommen. Hier sind einige davon: Wie wäre es, Bilder deshalb auszustellen, weil sie gut sind, nicht weil das Richtige drauf ist? (Am besten natürlich beides.) Sollten nicht eigentlich hundert Künstler für hundert Tage reichen? (Oder zumindest alle auch im Katalog vorkommen?) Ist das Beschwören indigener Rechte nicht doch nur ein wohlfeiler Kolonialismus des guten Gewissens? (Oder ist es bei Kurden, Berbern und Kaschmiri zu kompliziert, deren Probleme zu thematisieren?) Ist es nicht auch eine Form von Rassismus, wenn immer die Weißen böse und die Schwarzen gut sind? (Vielleicht einfach weniger Schwarz-Weiß-Malerei.) Warum nicht einfach wieder die Welt nach Kassel holen, statt die DOCUMENTA in die Welt hinaus zu schicken? (War schon immer absurd, hat aber ziemlich lange perfekt funktioniert.) Sollten Kuratoren nicht versuchen, die Künstler über sich selbst hinauswachsen zu lassen – so wie Trainer ihre Spieler? (Statt sie die Chance ihres Lebens mit drei Zetteln in einer Vitrine versemmeln zu lassen.) Und sollten Künstler nicht mithilfe der Kuratoren ihre Ideen verwirklichen? (Statt umgekehrt?) Sollten Performances nicht täglich stattfinden? (Schließlich kauft man ein Ticket ja für die gesamte Ausstellung.) Sollten Videos nicht auf Deutsch und Englisch untertitelt werden? (Immerhin ist die documenta ja für ein breites Publikum gedacht.) Zeugt es nicht von Wegwerfmentalität, wenn die DOCUMENTA ihr Künstlerpersonal jedes Mal fast komplett austauscht? (Waren die der vergangenen so mies, dass nur vier von fast 200 wieder eingeladen wurden?) Sollte man Künstlern und Publikum nicht den Respekt zollen, tatsächlich zu vermitteln, indem man Kontexte und Biografien erklärt? (Denn der »De-Learning«-Theorie zum Trotz ist Mündigkeit ohne Wissen undenkbar.) Sollte der Eintritt nicht frei sein? (Das wäre eine große gemeinschaftsstiftende Geste.) Sollte man sich bei einer Ausstellung zur Zeit nicht auf lebende Künstler und aktuelle Werke konzentrieren? (Denn für Entdeckungsreisen in die Vergangenheit ist eigentlich das Museum zuständig.) Sollten nicht Zukunftsfragen die entscheidende Rolle spielen? (Durch die Digitalisierung verändert sich alles – nur bislang nichts bei der DOCUMENTA.) Bis demnächst in Kassel, schon 2022 eröffnet die D15!
