Warum die Outsider in sind

Warum die Outsider in sind

Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de

Liebe Leserin, lieber Leser,

ist das nun ein Befreiungsschlag – oder ein Armutszeugnis? In seiner zentralen Ausstellung zur 55. Venedig-Biennale mischt Massimiliano Gioni viele „Outsider“ unter, wie man heute ganz korrekt alle nennt, die nicht ins klassische Schema des Berufskünstlers passen: Hobbyarchitekten, Obsessive, Selbsttherapeuten. Ganz neu ist das Verfahren nicht: Schon Harald Szeemann hat bei seiner legendären documenta 5 von 1972 eine Abteilung „Bildnerei der Geisteskranken“ eingerichtet. Für Künstler ist spätestens seit Jean Dubuffet die „Art Brut“ eine wichtige Inspirationsquelle. Aber so selbstverständlich wie in Gionis „Enzyklopädischen Palast“ wurden die Sonderlinge noch nie integriert – und noch nie so selbstverständlich als gleichrangig akzeptiert. Dahinter steckt, so steht zu vermuten, ein gewachsenes Misstrauen gegenüber der zeitgenössischen Kunst, der man Kalkül unterstellt: in Hinblick auf den Markt und in konzeptgetriebenen Werken, in denen viel Theorie und wenig Menschliches aufscheint. Diese Rückkoppelung an das scheinbar Authentische aber ist ein Wesenszug, der die Kunst von jeher durchzieht, erst war die Antike das Muster des Wahren, später waren es die Südsee oder Afrika. Lesen Sie in unserer Titelgeschichte, was es mit der aktuellen Besinnung auf die Outsider auf sich hat – und warum uns ihre Werkwelten so faszinieren. Sie erinnern uns daran, wie radikal der Auftrag der Kunst ist: „Ob Höflichkeit oder eingefahrene Wahrnehmungsstrukturen – der Künstler muss Regeln vergessen können, um neues Terrain zu erforschen. Ob er dabei bei klarem Verstand ist, spielt für das Ergebnis keine Rolle.“

  • Für art kein neuer Trend: Seit der Erstausgabe von 1979 sind bei uns die „Outsider“ Thema