Ein Traum: der große Berliner Entwicklungsroman!
Ein Traum: der große Berliner Entwicklungsroman!
Tim Sommer, Chefredakteur
Liebe Leserin, lieber Leser ,
typisch, diese Aufregung und Ungeduld in und um Berlin, die Leute haben einfach keinen Sinn für Dramaturgie! Dabei war schon seit Jahren klar, dass der Gemäldegalerie im großen Hauptstadtmuseumsentwicklungsroman ein besonders spannendes Schicksal zugedacht ist. Erst jugendliche Heldin, dann Jahre der Verwirrung und Bedrängnis, dann das glänzende Finale! Die übrigen Handlungsstränge in berlingemäß provisorischer Reihenfolge: Ein gigantisches Museum der Moderne verdrängt die Alten Meister aus den Hallen des erst 1998 eröffneten Baus am Kulturforum. Die Neue Nationalgalerie daneben wird über Jahre saniert und zeigt dann einen Blockbuster nach dem anderen. Eine unterirdische Erschließung macht die Museumsinsel zum Spree-Louvre, in dem die Besucher trunken vor Glück umherirren: von der griechischen Säule im Pergamonmuseum zur griechischen Skulptur im Alten Museum, dann zur ägyptischen Nofretete im Neuen Museum und zurück zum Ischtar-Tor im Pergamonmuseum. Jenes Pergamonmuseum wird unter großen Kontroversen umgebaut und erhält dazu die Eintrittshalle eines schon 2007 gestorbenen Architekten. Ein neues Stadtschloss wird erschaffen und gebärt ein rätselhaftes Wesen namens Humboldt-Forum, das mit Kanus, Masken und Debatten für neue Spannung sorgt. Dann aber (Flugzeuge kreisen immer noch auf der Suche nach einem Flughafen hektisch über der Stadt), schlägt die Stunde der Gemäldegalerie: Nachdem sie tapfer ausgeharrt und die wunderschöne, aber doch nun bedauerlich besucherschwache Skulpturensammlung im Bode-Museum (auch sie war für kurze Zeit eine jugendliche Heldin gewesen) mit ihren Bildern beatmet hat, wird ihr ein Neubau gegenüber am Kupfergraben geschenkt werden. Hier präsentiert sie sich endlich in ganzer Schönheit glücklich vermählt mit den dreidimensionalen Werken: als enzyklopädischer Gang durch die Kunst des Abendlandes von Mittelalter bis Barock!
Und das ganze Getriebe wurde, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings Orkane auslösen kann, von diesen läppischen zehn Millionen Euro in Gang gesetzt, die der Kulturstaatsminister (siehe Seite 126) dafür locker gemacht hat, um der Sammlung Pietzsch eine Heimat zu geben. Das ist doch mal eine schöne Geschichte von mythischer Kraft, die uns, liebe Leser, noch über Jahrzehnte den Atem rauben wird!
*
Herzlich willkommen bei Europas größtem Kunstmagazin: Seit Jahresbeginn kaufen regelmäßig über 30 Prozent mehr Menschen art am Kiosk, das hat die offizielle Zählung der IVW ergeben. Die AWA, das ist die wichtigste Reichweitenmessung für Zeitschriften, hat ermittelt, dass unser Magazin jetzt über 510 000 Leser hat. Gut für die Kunst, gut für art .
-
-

Erst jugendliche Heldin, dann Jahre der Not, dann das glänzende Finale: die Berliner Gemäldegalerie