Das Prinzip Messe hat gesiegt
Das Prinzip Messe hat gesiegt

Liebe Leserin, lieber Leser,
Art Basel oder Biennale: Hier wie dort konturlose Überfülle. Bei Messen kennt man das – aber in der großen „Esposizione Internazionale d’ Arte“ von Venedig? Man konnte dort ratlose Kritiker sehen, die mit müden Augen fragten: Viel war es ja, nur was davon war wirklich gut? Mit welchen neuen Namen soll ich das Gedächtnis füttern? Welche alten soll ich streichen? Das lässt sich noch beantworten. Was aber ist mit der Grundfrage: Kann man noch Sinn filtern aus dieser Sturzflut von Kunst? Ergibt sich eine Aussage aus dem nivellierenden Nebeneinander von fulminanten Werken und leerem Formgebrabbel in jedem nur denkbaren Stil und Medium?
-
-
-
-

Konturloses Nebeneinander in der internationalen Biennale-Ausstellung: Arbeiten von Kerstin Brätsch und Adele Röder, Nathaniel Mellors, Amalia Pica und Gabriel Kuri (im Uhrzeigersinn)
Nun hat Venedig den Vorteil, dass man solche Nöte dort mit einem heilenden Sprizz in der Hand erörtern kann. Aber zu einem wirklichen Ergebnis ist dabei diesmal keiner gekommen. Bice Curigers Scheitern ist exemplarisch für die neue Kuratorenmasche, sich durch Überforderung des Publikums aus der Verantwortung zu stehlen. In ihrer Biennale-Schau „Illuminations“ (siehe Bericht ab Seite 18) hat sie vor der Unübersichtlichkeit der Weltkunst kapituliert, indem sie es vorgezogen hat, einfach keinerlei Position zu beziehen. Es gilt das Prinzip Messe: Alles passt irgendwie zusammen, alles ist irgendwie wichtig, nichts darf dominieren, nichts darf vergessen werden. Diese Indifferenz zeigt sich schon in der Minimalbeschriftung der Werke, die für eine Publikumsausstellung schlicht eine Frechheit ist. Vor allem aber im rein assoziativen, globalisierten, letztlich gleichgültigen Potpourri von diesem und jenem, von hier und da, heute und gestern, das endlos durch die Säle fließt, ohne jemals auf den Punkt zu kommen. Was ist denn der Zweck einer kuratierten Themenschau neben den naturgemäß wild gewürfelten Länderpavillons? Sie soll einen Maßstab geben, das Urteil schärfen, Thesen formulieren, über die man streiten kann. Stattdessen läuft es nach Goethes Schaustellermotto: „Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen, ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ Von wegen!