Venedig – ein Traum für Architekten

Venedig – ein Traum für Architekten

  • Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de
  • Der 1938 umgebaute deutsche Pavillon in Venedig. 1993 thematisierte Hans Haacke hier die Nazi-Geschichte – es geht, wie andere beweisen, aber auch mal belastungsfrei

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist eine alberne Diskussion, die der Präsident der Bundesarchitektenkammer da ausgelöst hat: Man solle den deutschen Pavillon in den Giardini von Venedig abreißen, fordert Arno Sighart Schmid, er sei mit seiner Nazi-Geste nicht mehr zeitgemäß, außerdem habe er kein Fenster zur Lagune. Dem obersten Architekten sei zugutegehalten, dass er für Arbeit zu sorgen hat. Auf Abriss soll natürlich Neubau folgen. Ihm schwebt ein lichtes, dienendes Gebäude vor, in dem sich das neue Deutschland spiegeln kann, kein düsterer Klotz mehr mit unguter Aura.

Im kleinen Stadtpark von Venedig hat jede Nation ihr Kreuz zu tragen: Die Briten residieren in einer kolonialen Villa, die Franzosen spielen in einer Art Provinz theater, die Skandinavier müssen sich ein von Bäumen durchstoßenes Aquarium teilen, die Ungarn haben ein Pusztaschloss, die Finnen eine Holzgarage, die Japaner einen Hochbunker. Das über Jahrzehnte gewachsene Sammelsurium in den Giardini ist ebenso absurd wie die Idee der Biennale, den Kunstdiskurs als Grand Prix der Nationen aufzuführen. Aber nur genauso funktioniert’s in Venedig: altmodisch, unperfekt, fragwürdig – gut. Will Schmid tatsächlich, dass Deutschland den italienischen Denkmalschutz aushebelt, um sich ein Monument seiner neuerlangten Toleranz zu bauen und damit allen Nachbarn eine Ausrede gibt, sich von Geschichte und Traditionen zu lösen? Ein permanenter, internationaler Bauwettbewerb mitten in Venedig! Das muss eine schöne Vorstellung für Oberarchitekten sein. Nicht aber für Künstler, Kuratoren und Publikum. Denn scheitern kann man im schönsten Pavillon, der unbequemste kann helfen, Sinn zu stiften. Man muss nur wissen, was man tut.