Liebe Leserin, lieber Leser
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das musste ja im Kater enden. Einem solchen Erwartungsdruck hätte selbst der brillanteste Kunstsommer nicht genügen können. Aber leider ist weder in Venedig noch in Münster – und vor allem nicht in Kassel – diesmal der große Wurf gelungen. Das belegt Ute Thons Bericht ab Seite 24. Wie unterschiedlich die Documenta 12 gewertet wird, zeigt unsere Umfrage unter Kuratorenkollegen auf Seite 38: von „überwiegend bestechende Ausstellung“ (Adam Szymczyk) bis zu „erschreckend harmlos“ (Stephan Berg) reichen die Diagnosen. Beim Vernissagenjetset machte sich spätestens in Kassel Überdruss breit. Keine Spur allerdings davon beim Publikum: Kaum hatten die maulenden Kritiker und Museumsleute den Platz geräumt, kehrte selbst im vielgeschmähten Aue-Pavillon diese ganz spezielle, knisternde Documenta-Andacht ein. Sie wird auch die D 12 zum Erfolg machen. Der Mythos ist längst stärker als die Wirklichkeit
„Danke für ein freundschaftliches Gespräch“, schrieb Ai Weiwei unserem Autor Alfred Welti als Widmung in den Reporterblock. Jedenfalls lautet so die offizielle Version der Übersetzerin. Einige Tage hat Welti – der selbst etwas Chinesisch spricht – mit ihm und zwei Studenten aus der berühmten Reisegruppe der 1001 Chinesen in Kassel verbracht. Ungezählte Interviews auf allen Kanälen hatten Ai schell zum Star der Documenta 12 gemacht: ein lustiger Künstler, der Landsleute und Stühle auf Reisen schickt und auch noch lacht, wenn seine monumentale Skulptur in der Karlsaue beim ersten Sturm zusammenbricht. Weltis Porträt, zu lesen ab Seite 40, gräbt tiefer. Es erklärt Ais Kunst aus der Verbindung von individuellem Schicksal und dem Gang der Geschichte. Ai Weiweis Vater, der Dichter Ai Qing, hatte zu der Zeit der Kulturrevolution in der Verbannung Latrinen schrubben müssen – ein Dienst, den Ai nun seinen Landsleuten in Kassel erwies. Eine Ausstellung in China hatte Ai übrigens „Fuck Off“ genannt – damals lautete die Übersetzung „keine Zusammenarbeit“.
Ihr Tim Sommer

