Das Museum als »safe space« – aber bitte für die Kunst!
Das Museum als »safe space« – aber bitte für die Kunst!
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Hehrer Tempel oder offener Raum für gesellschaftliche Diskussionen? Die Dresdner Galerie Alte Meister (rechts) und das geplante Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin bewegen sich zwischen diesen ewigen Polen
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
lassen Sie sich von Kunst gerne irritieren und provozieren? Oder sind Sie doch schnell beleidigt, wenn ein Werk Ihre Gefühle verletzt? Sind Sie vielleicht sogar eher der Anbetungstyp? Gehören Sie zu den Zeitgenossen, die Werke von gestern streng nach den moralischen Standards von heute beurteilen? Ist Ihnen die Kunstbetrachtung einige Anstrengung wert – oder wünschen Sie sich eine niedrigschwellige Informations- und Deutungsvollversorgung vom Museum Ihres Vertrauens?
Pünktlich zur Wiedereröffnung der Kunsthäuser nach langer Pandemiepause hat unser Kolumnist Wolfgang Ullrich einen Essay geschrieben (ab Seite 34), der tief in den Selbstfindungsprozess einsteigt, in dem die Kunstmuseen stecken. Tempel oder Akteur der öffentlichen Debatte, das sind die Pole, zwischen denen die Institution schon lange schwankt. Spätestens seit Hilmar Hoffmann 1979 als sozialdemokratischer Kulturdezernent von Frankfurt/M. mit der Parole »Kultur für alle« die Öffnung der Museen vorantrieb, ist der Anspruch formuliert, das Museum jenseits des Bildungsbürgertums zugänglicher zu gestalten. So weit, so allseits akzeptiert. Was die Kunstvermittler und -bewahrer heute viel tiefer verunsichert und nachhaltiger beschäftigt, ist die Gerechtigkeitsdebatte, die in die Museen schwappt. Sie führt zu einem Loyalitätskonflikt: Sind sie ein »safe space«, ein geschützter Raum, für die Werke – oder ein »safe space« für ein Publikum, das immer empfindlicher wird? Wie will man eigentlich Debatten anstoßen, wenn man alles Anstößige vermeidet? Wie soll man einen Kanon bilden, wenn man Hierarchien misstraut oder gar ablehnt?
Ich jedenfalls wünsche den Museen viel Mut zur Zumutung: intellektuell und ästhetisch ohnehin – aber auch moralisch. »Kultur für alle« ist gut – aber »Öffnung« muss man von beiden Seiten erwarten, der Institution und ihrem Publikum.
Herzlichen Dank an unseren aufmerksamen Leser Alexander Panosch aus Kärnten: Er hat uns darauf hingewiesen, dass das Mai-Heft die 500. Ausgabe von ART war! Wie dumm von uns, ausgerechnet in diesen Zeiten einen Grund zum Feiern zu verpassen! Wir machen einfach weiter bis zum 1000. Heft …
PS: Ab Seite 6 finden Sie eine Auswertung unserer Umfrage zur gendergerechten Sprache. Vielen Dank an alle, die sich beteiligt haben – Sie waren uns eine große Hilfe!