Kunstmarktkomödie mit Schurke und Trottel

Kunstmarktkomödie mit Schurke und Trottel

TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR

chefredaktion@art-magazin.de

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

in der Regel werden Sie bei uns natürlich exklusiv bedient. In diesem Heft aber drucken wir eine Geschichte aus dem legendären Magazin »The New Yorker« nach, die wir so faszinierend fanden, dass wir Sie Ihnen nicht vorenthalten wollten.

Der britische Autor Sam Knight entwickelt hier minutiös einen Krimi, der sich liest wie das Drehbuch einer Hollywoodkomödie. Es ist eine Geschichte über Gier und Dummheit, darüber, wie Lüge und Betrug auf dem Nährboden unzureichender Gesetze ungestraft gedeihen konnten. Der Plot in Kurzfassung: Ein Schweizer Spediteur angelt sich einen ebenso ahnungslosen wie schwerreichen russischen Oligarchen, dem er unter Nutzung seiner Insiderkenntnisse mit exorbitantem Profit eine Kunstsammlung zusammenstellt. Er verdient dabei so viel Geld, dass er nach dem Vorbild des Genfer Zollfreilagers, in dem er arbeitete, ein eigenes in Singapur baut. Die Groteske mit Schurke und Trottel wirkt wie eine Persiflage auf den überhitzten Kunstmarkt der Nullzinsepoche – nur dass das alles wirklich so passiert ist. Deshalb passt es auch so herrlich, dass der »Singapore Freeport« aussieht wie die Zentrale des neuen James-Bond-Bösewichts.

Eigentlich waren solche Zollfreilager mal als Erleichterung für den internationalen Handel erfunden worden – heute fungieren sie oft als extrem verschwiegene Hochsicherheitsverstecke für Hehlerware und geraubte Antiken, als Depot für Wandaktien aus schwarzem wie aus sauberem Geld und als Zwischenlager für Kunstwerke mit dubioser Herkunft, die sich im Moment nicht so leicht verkaufen lassen. So wurde der Kunsthändler Davide Nahmad kürzlich im Zuge der Recherchen zu den »Panama Papers« überführt, hinter der panamaischen Briefkastenfirma zu stehen, die Amedeo Modiglianis Homme assis (appuyé sur une canne) besitzt. Das Bild, das mutmaßlich dem Kunsthändler Oscar Stettiner gehörte und von den Nazis in Paris gestohlen worden sein soll, lagerte still im Zollfreilager Genf. Dort wurde das Bild nun beschlagnahmt. Die Schweizer zumindest setzen mittlerweile statt auf Diskretion auf Transparenz.

Hätte das unserem naiven Oligarchen genützt? Vermutlich nicht. Mein Mitleid jedenfalls hält sich in Grenzen.

  • Der »Singapore Freeport« mit Lichtarbeiten von Johanna Grawunder, einer Riesenskulptur von Ron Arad und ungezählten weiteren Kunstwerken hinter verschlossenen Türen

PS: Die sorgfältig recherchierten Ausstellungstermine sind längst ein Klassiker unseres Magazins. Ab jetzt gibt es diesen Service auch online auf unserer Seite www.art-magazin.de