Mission impossible in St. Petersburg
Mission impossible in St. Petersburg

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
kann das noch gutgehen? Dass die Manifesta 10 in St. Petersburg im Desaster endet, wurde im Laufe der letzten Monate immer wahrscheinlicher. Auch ob sie überhaupt stattfindet oder doch noch im letzten Moment abgesagt wird, ist zum Redaktionsschluss nicht ausgemacht. Übergroß sind die Konflikte, die an dem Festival im alten Zarenpalast zerren. Es geht um die Frage, ob die Kunst hier ihre doppelte Freiheit behauptet, alles sagen zu können, aber nichts kommentieren zu müssen. Wird die Ausstellung schön, ist sie zu lau. Ist sie zu böse, wird sie wohl nur als plumpe Provokation verstanden. Mission impossible.
Als wir im Winter gemeinsam mit Kasper König die Idee entwickelt haben, einen Fotokünstler loszuschicken, um zur Manifesta ein Stadtporträt von St. Petersburg zu machen, war die Lage in der Ukraine noch ruhig, die Pussy-Riot-Aktivistinnen eben begnadigt. Hauptthema der politischen Diskussion war die homophobe Gesetzgebung im Putin-Russland. Wir trafen Kasper König in seinem Berliner Büro, einen Ost-West-Pendler, fasziniert und abgestoßen zugleich von der russischen Gegenwart. Einen weltläufigeren Kurator als ihn kann man sich eigentlich nicht denken, schon seine Lehrzeit hat er in Amerika verbracht, seit den sechziger Jahren macht er Ausstellungen jedes Formats. Aber in so eine absurde Maschinerie wie die Eremitage in einer so wahnwitzigen Stadt wie St. Petersburg in einem so undurchschaubaren Land wie dem postsowjetischen Russland war er noch nie hineingeraten. Keiner hätte diesen Zustand besser einfangen können, da wurden wir uns schnell einig, als Martin Parr, das Ironie-Genie unter den Fotografen. Seine wunderbare Interpretation dieser Stadt sehen Sie im großen Portfolio ab Seite 20. Das aktuelle Interview mit Kasper König folgt auf Seite 42. Es zeigt, wenige Wochen vor der Vernissage, den alten Hasen in der Klemme: zwischen Bürokratie, Boykottaufrufen, Finanzierungsschwierigkeiten, Rechtfertigungszwang. Wir wünschen ihm und seinem Team, dass sich doch noch alles fügt. Vermutlich ist der Kurator diesmal genauso gespannt wie sein Publikum.
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Als Tourist unter Touristen in der Eremitage auf der Pirsch: Martin Parr -

Über dem Totenkopf steht »Swoboda« – das heißt Freiheit, in der Ukraine aber auch Nationalismus. Boris Mikhailov zeigt seine Fotos vom Maidan auf der Manifesta THE THEATRE OF WAR, SECOND ACT, TIME OUT
PS: Das Echo auf unsere neue Gestaltung war überwältigend. Herzlichen Dank an die vielen Leser, die uns geschrieben haben – für Lob und Bestätigung genauso wie für die Kritik!