Inhalt ist out – zumindest hier zu Lande
Inhalt ist out – zumindest hier zu Lande
Tim Sommer, Chefredakteur chefredaktion@art-magazin.de
Liebe Leserin, lieber Leser, eine lakonische Aussage von Birgit Brenner hat mir zu denken gegeben. Unsere Autorin Adrienne Braun sagt zu ihr im Interview (ab Seite 44), dass es ungewöhnlich sei, so inhaltlich zu arbeiten. Darauf Brenner: „Ja, das ist out, glaube ich.“ Das stimmt verblüffend. Zumindest in unseren Breiten scheuen die Künstler die Botschaft – und wir würden sie ihnen auch nicht abnehmen. Eine Spätfolge der Moderne: Was als Kunst von vornherein zu deutlich ist, erscheint uns naiv. Die inhaltliche Aufladung geschieht in der Regel erst über Kuratoren, die vieldeutige Werke in Ausstellungskonzepte einbetten, und sie so gewissermaßen ausrichten, ihnen eine Lesart einschreiben. Das akzeptieren wir dann. So bleibt den Künstlern oft einzig die Ironie, um Aussagen über die Gesellschaft zu treffen. Das ist auch Birgit Brenners Weg. „Gesellschaftskritik“, so sagt sie, „gilt als unsexy. Aber ich meine es schon gesellschaftlich. Ich versetze es ins private Umfeld, um zu verdeutlichen, was ich im Großen meine: den Druck, Schnelligkeit und Leistung bringen zu müssen, Angst, Manipulation.“ Zwei Berichte in diesem Heft führen in Weltregionen, wo Kunst diese Funktion ganz selbstverständlich für sich reklamiert. Dort ist der Druck größer, und er ist ein anderer. In Rio de Janeiro hat die Casa Daros (ab Seite 54) eröffnet, ein Haus für die Kunst Lateinamerikas, die sich mit Drogenkrieg, Korruption und Rassismus auseinandersetzt. Unsere Titelgeschichte (ab Seite 20) ist eine Reportage aus Kairo, wo Künstler die Revolution vorangetrieben haben und immer noch Teil von ihr sind. Auch hier erscheint uns manches naiv, weil überdeutlich. Aber dass diese Kunst zur Zeit Furore macht, zeigt doch, dass wir ein Defizit spüren: Etwas mehr Mut zum Inhalt könnte auch hier nicht schaden.
-
-

Botschaft dort, Botschaft hier: Das Märtyrerporträt von Ganzeer in Kairo zeigt den 18-jährigen Islam Raafat, Birgit Brenners Collage „für immer und ewig“ verarbeitet ironisch deutsche Zustände -