Kitsch ist ein Kampfbegriff – aber wo ist die Front?
Kitsch ist ein Kampfbegriff – aber wo ist die Front?

-
-
-

Böser Umgang mit dem Gartenzwerg: Paul McCarthys Serie „White Snow Dwarf“ von 2010
Liebe Leserin, lieber Leser, natürlich war auch hier früher alles einfacher: Kitsch war eben Kunst für die Leute, die nichts von ihr verstanden. Mit der Pop Art, spätestens aber seit Jeff Koons gilt das nicht mehr: Das Hohe und die Seichte, das Kluge und das Dumme, das Wertvolle und das Billige haben ihre angestammten Plätze verlassen und wandeln seitdem als frei wählbare Masken durch Hoch- und Trivialkultur. Zwar ist Kitsch immer noch ein Kampfbegriff, aber es ist beim besten Willen keine Frontlinie mehr zwischen gut und böse erkennbar. Man darf Kitsch ungestraft mögen, aber vieles, das sich als Hochkunst gibt, entpuppt sich als hülsenhaft banal.
Mit der Titelgeschichte ab Seite 20 in diesem Heft schaffen wir etwas Überblick im komplizierten Terrain. Ein Essay klärt die Erkenntnislage, zehn Kategorien sollen helfen, Kitsch zu erkennen und einzuordnen. Die Liste kann beliebig erweitert werden, denn wenn man erst beginnt zu fragen, zeigt sich der Kitsch auch dort, wo man ihn nicht vermutet hätte. Dass Jeff Koons strategisch mit der Lust am Trivialen spielt, wird jeder unterschreiben – aber auch dass der ernsthafte Christian Boltanski sich nun unter Betroffenheitskitsch wiederfindet? Ist heute jede Gefühlsregung schon sentimental? Adelt der politische Zweck die künstlerischen Mittel? Wo ist die Grenze zwischen Ironie und Marktzynismus? Wann endet die Wahrhaftigkeit eines Künstlers und er beginnt zum Kitschier seiner selbst zu werden? Verehrung ist gut, Kritik meistens besser.
Übrigens: Nur schweren Herzens haben wir bei unserer Recherche Architektur und Design außen vor gelassen, wo der Kitsch ebenso offensichtlich und im Verborgenen blüht wie in der Kunsttheorie mit ihren Worthülsen und ihrer Scheinphilosophie. Auch der Kunstjournalismus, wir ahnen es, gerät nun unter Verdacht!