EDITORIAL: Hase und Igel im Humboldt-Forum
EDITORIAL: Hase und Igel im Humboldt-Forum
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TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR chefredaktion@art-magazin.de -

Das kostbare »Luf-Boot« von der gleich– namigen Insel im Bismarck-Archipel zog schon im Mai 2018 spektakulär ins Humboldt-Forum ein. Seine grausame Geschichte recherchierte jetzt Historiker Götz Aly – extern -
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
im Humboldt-forum können sie nun rudern, wie sie wollen, gewinnen werden sie den Wettbewerb um Wahrheit und Gerechtigkeit nicht mehr. Das Verhältnis der ethnologischen Museen zu ihren Exponaten ist geradezu toxisch geworden, seit die kolonialen Zusammenhänge der Entstehung dieser Sammlungen in den Mittelpunkt gerückt sind – wissenschaftlich und politisch.
Jetzt, wo die Debatte solche Fahrt aufgenommen hat, rächen sich die Versäumnisse und Unentschlossenheiten der letzten Jahre unerbittlich. Eben hatten sich Ende April die Museen gemeinsam mit der Politik endlich entschlossen, die kostbaren Benin-Bron- zen zur Rückgabe an die Herkunftsgesellschaften in Nigeria freizugeben, weil es sich dabei (offenkundig und längst erforscht) um Raub- und Plünderware handelt. Die im Spätsommer geplante Eröffnung des Ethnologischen Museums im Humboldt-forum wäre ohne diese Erklärung zum Desaster mit Ansage geworden.
Da erscheint, nur zwei Wochen später, Götz Alys Buch Das Prachtboot, in dem der eigentlich als NS-Forscher bekannte Historiker die Herkunftslegende des einzigartigen Auslegerbootes von der Südseeinsel Luf im ehemaligen »Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea« zerlegt, das als größtes und prominentestes Exponat des Ethnologischen Museums mit großem Tamtam und »Ahoi« eigens durch eine Maueröffnung ins neue Schloss gefädelt wurde.
Fast süffisant erzählt der Forscher in begleitenden Interviews von seiner »externen und sehr billigen Provenienzforschung« für die Stiftung Preussischer Kulturbesitz und wie einfach es war, anhand gut zugänglicher Quellen die grausame Geschichte des vom Hamburger Kaufmann Max Thiel von den wenigen verbliebenen Einwohnern der Südseeinsel angeblich ehrlich erworbenen Holzbootes zu durchleuchten. Deutsche »Strafexpeditionen« hätten zuvor die Bevölkerung der Insel Luf auf Bitten von Thiels Firma Hernsheim & Co gezielt dezimiert, Hütten und Boote systematisch verbrannt und zerschlagen, um hier Kokosplantagen anzulegen. Wie freiwillig das Boot dann in Thiels »Hände überging«, das lässt sich denken.
Man fragt sich ungläubig, wie sich die Berliner Museen nach über zehn Jahren Vorlaufzeit für die jetzt anstehende Eröffnung so düpieren lassen konnten. Aber man hat die Hoffnung schon aufgegeben, dass es die letzte Peinlichkeit dieser Art sein wird – so beflissen die Saaltexte im Humboldt-forum auch ausfallen mögen.
PS: Die Flut Ihrer Reaktionen auf den Abo-Brief zur gendergerechten Sprache reißt nicht ab, herzlichen Dank dafür! Die Auswertung dazu erfolgt in der nächsten Ausgabe.