Drei Zauberlehrlinge in der Sinnkrise

Drei Zauberlehrlinge in der Sinnkrise

EDITORIAL
chefredaktion@art-magazin.de

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

haben Sie mehr nachgedacht als sonst in diesen gleichzeitig konzentrierten und gedehnten Tagen mit gebremster Kommunikation und gedrosselter Schlagzahl? Auch der Kunstbetrieb hängt gerade in einer merkwürdigen Schwebe zwischen Besorgnis und Besinnlichkeit, zwischen dem »Ich will mein altes Leben zurück« und »Jetzt muss alles anders werden«.

Ich glaube, wir bringen in diesem Heft ein wichtiges Dokument dieser Zeit des Grübelns im Angesicht der Katastrophe: Unsere US-Korrespondentin Claudia Bodin hat zwei sonst extrem hochtourige Gestalten der New Yorker Szene, Pace-Galerist Marc Glimcher und Elizabeth Dee, Gründerin der Independent Art Fair, mit dem Berliner Turbogaleristen Johann König für art zum transatlantischen Krisen-Videochat zusammengebracht. Drei, die von der Überholspur des Jetset-Kunsthandels direkt auf den Standstreifen gewechselt sind. Dee konnte ihre Messe im März gerade noch durchziehen und fragt sich jetzt, ob es je eine weitere geben wird. Glimcher hat seine Wochen im Covid-19-Krankenbett genutzt, um sein Geschäftsmodell als etablierter Großgalerist mit 93 Künstlern, 30 Händlern und Dutzenden Messeteilnahmen rund um den Globus zu hinterfragen. Johann König, der die Berliner Szene seit ein paar Jahren mit innovativen Modellen vor sich hertreibt, versucht, das Beste aus dem Lockdown zu machen, indem er aus seiner Kreuzberger Kunstkirche St. Agnes digital auf allen Kanälen funkt.

Lesen Sie den Austausch von seltener Offenheit und Ehrlichkeit ab Seite 122, ich habe dabei viel gelernt. Vor allem fördert er zutage, dass die Skepsis dem hyperventilierenden Zustand des Kunstmarkts gegenüber schon vor der Krise an allen Beteiligten genagt haben muss – ebenso wie der Rollenkonflikt zwischen Galerist und Anlageberater in diesem »Geschäft der Magie« (Zauberlehrling Glimcher).

Und weil ich ahne, dass sich vieles anders liest, wenn erst die Macht des Faktischen wieder mit Wucht die Agenda der Krisenphilosophen vollschreibt, habe ich mir vorgenommen, dass wir die drei in ein paar Jahren wieder miteinander sprechen lassen. Dann wird sich zeigen, ob aus dem Shutdown auch eine Einkehr geworden ist.

  • Elizabeth Dee eine Messe lanciert
  • Marc Glimcher (oben) hat erst letztes Jahr einen fulminanten Galerieneubau in New York eröffnet
  • Johann König treibt den Berliner Kunstbetrieb vor sich her. Die Krise hat die Kunstmarkt-Überflieger ausgebremst und nachdenklich gemacht

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