Dinge sind Dinge, Menschen sind Menschen

Dinge sind Dinge, Menschen sind Menschen

  • TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR chefredaktion@art-magazin.de
  • Ende der Geschichte: Angela Merkel hat sich von Emil Noldes Bild »Brecher« (1936) verabschiedet
  • Andere Erbstücke aus Nazizeiten bleiben in Gebrauch: ehemaliges Reichsluftfahrtministerium und das Olympiastadion von 1936 in Berlin

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

vermutlich kam die Anfrage dem Kanzleramt ganz gelegen: Für die Ausstellung »Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus« im HAMBURGER BAHNHOF (Kritik auf Seite 115) erbat sich die Berliner STIFTUNG PREUSSISCHER KULTURBESITZ das Gemälde Brecher von 1936 zurück, das als Leihgabe über der Sofaecke im Büro der Kanzlerin hing. Mitsamt dem Nolde-Blumenbild hinterm Besprechungstisch wurde die gemalte Woge abgehängt und soll nie wiederkehren. Die Schau, kuratiert von Bernhard Fulda, Christian Ring und Aya Soika, hatte erstmals vollen Zugang zu den lange gesperrten persönlichen Archiven Noldes und zeigt ihn als strammen Nationalsozialisten, Rassisten, eingefleischten Judenhasser – und trotzdem guten Maler. Die schöne Legende vom verfolgten nordischen Expressionisten, den schon Helmut Schmidt für den Bonner Kanzlerbungalow auswählte, ist damit für immer passé.

Nun ist es natürlich verständlich, dass die Kanzlerin nicht unter Rechtfertigungsdruck geraten will, wenn Sie mit Gästen unter dem Naturbild des Antisemiten über die Weltlage verhandelt. Schließlich geht es hier um Macht und Selbstdarstellung. Vielleicht mag sie auch, nun in Kenntnis der Persönlichkeit des Künstlers, dessen Bilder einfach gar nicht mehr sehen.

Ich halte es mit dem Historiker Michael Wolffsohn, der in einem klugen Interview im Deutschlandfunk im Vorgang »Tugendhysterie« diagnostizierte; das Weghängen sei »die bequemste Art, sich der Geschichte zu entledigen«. Liebt Angela Merkel nicht auch Richard Wagners Musik und weiß um seine düsteren Seiten? Hängenlassen, aber kritisch und redebereit sein, das ist der richtige Umgang mit einem großen Künstler, der ein kleiner Mensch gewesen ist. Man kann auch zu Brüchen und Abgründen stehen.

An anderer Stelle in Berlin weiß man weit bösere Sachen als Noldes Bilder ja auch durch den Gebrauch zum Besseren zu wenden: In Görings Nazi-Luftfahrtministerium residiert heute der demokratische Finanzminister, in Hitlers Olympiastadion wird bis heute das DFB-Pokalfinale zelebriert. Man kann Geschichte ausblenden, besser ist es, sie mitzudenken.

PS:

Vor genau 25 Jahren, auf der Höhe ihres Ruhms, widmete ART Rebecca Horn schon einmal den Titel. Warum sie wieder in den Mittelpunkt des Interesses gehört, lesen Sie ab Seite 36.