Keine Sommerpause für das »Parlament der Körper«

Keine Sommerpause für das »Parlament der Körper«

TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR

chefredaktion@art-magazin.de

  • Drei Kuratoren, drei Konzepte: Adam Szymczyk macht aus der documenta 14 ein Anti-Ereignis, Christine Macel setzt bei der Venedig-Biennale auf die Kraft der Kunst und Britta Peters, Kasper König und Marianne Wagner in Münster auf das Einzelwerk im Stadtraum

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

in eine seltsame Lage hat Adam Szymczyk uns Kunstjournalisten gebracht. Normalerweise trennen wir sauber zwischen neutralem Vorbericht und kritisieren erst, wenn wir eine Ausstellung auch gesehen haben. Aber hier, so zwischen Vernissage und Vernissage? In Athen (Bericht ab Seite 68) haben wir schließlich erst die halbe documenta gesehen – und wir fühlen uns wie Theaterkritiker, die schon in der Pause die Rezension durchgeben sollen, unsicher, wie sich Stück, Besetzung und Inszenierung in Kassel am Ende fügen werden. Zwischen Posse und Tragödie ist noch alles möglich, übrigens auch ein veritabler Flop.

Wenn man Adam Szymczyks düsteres Vorwort zum d14-Reader als Programmheft liest, kann man mit ihm an der schieren Unmöglichkeit verzweifeln, heute noch eine documenta zu machen. In seiner apokalyptischen Weltsicht sind wir alle in die Fänge einer neoliberalen, neokolonialen Kriegsmaschine geraten, der man nicht mit einer klassischen, normativen Überblicksausstellung entgegentreten kann, sondern nur als Bewegung, als »diverses, sich stets wandelndes, transnationales und antiidenditäres Parlament der Körper , bestehend aus allen Körpern, die in der documenta 14 zusammenkommen, um dann wieder auseinanderzugehen und andere Parlamente zu bilden, andere Instanzen der destituierenden Macht.« Eine »Instanz der absetzenden Macht« will diese Szymczyk-documenta also sein, ein anarchistisches Anti-Ereignis, bei dem die Künstler nicht sonderlich wichtig genommen werden.

Zwei weitere Regiekonzepte treten in diesem Sommer dagegen an: Christine Macels »Viva Arte Viva«-biennale in Venedig (art 5/2017), die ganz optimistisch auf die Lebenskraft der Kunst an sich vertraut. Und skulptur-projekte münster (ab Seite 84), die allein aus dem Einzelwerk des einzelnen Künstlers Kraft und Leben gewinnen. Was sich am Ende als naiver Ansatz, was als genial entpuppt – wir werden sehen.

So, und nun wieder hinein, in den Hauptakt dieses Kunstsommers. Der Vorhang hebt sich für uns frisch vom Publikum zum »Parlament der Körper« beförderten Kunstliebhaber – die hoffentlich auch genügend Geist und Urteilskraft besitzen!

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