Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

es war abzusehen, dass der Wettbewerb um ein Einheitsdenkmal in Berlin (siehe Glosse Seite 123) im Desaster enden würde. Die Aufgabe war fast unlösbar: Nicht nur an die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung sollte auf dem Sockel des alten Wilhelmdenkmals vor dem Schloss erinnert werden, sondern auch an die Vorgeschichte bis zum Mittelalter und die europäische Dimension. Überraschend ist nur, wie die Jury das Scheitern offensichtlich werden ließ.

Im ersten Durchgang wurden 404 der 532 anonymen Entwürfe aussortiert, weil sich keine einzige Hand für sie hob. Über die restlichen 128 Ideen wurde noch einmal abgestimmt, hier erhielt keine die notwendige einfache Mehrheit, um in die engere Wahl für die zweite Stufe des Wettbewerbs zu kommen. Unter den sechs Bestplatzierten ist kein Künstler von Rang, kein namhaftes Architekturbüro. Bei der Durchsicht aller Arbeiten packt einen das Grausen: Tanzende Bronzefiguren auf Mauerresten, eine Banane, Stelenwälder in Schwarzrotgold, dazu viel Design aus der Retorte der Moderne: Raumschleifen, Kugeln, Würfel. Die Jury ist nicht zu beneiden gewesen. Nun soll es statt eines offenen Wettbewerbs einen auf Einladung geben, bei dem die Fachleute für das Gedenkwesen unter sich sind.

  • Die bestplatzierten Verlierer beim Denkmal-Wettbewerb: Mola Winkelmüller Architekten, Schilling Architekt, Wolfgang Aichner, sic architekten, eins:eins architekten, Burkhard Vierus (v.l. oben)

Immerhin ein Preis wurde schon weit vorab verliehen: Die Initiatoren des Denkmals aus der Deutschen Gesellschaft e. V. bekamen 2008 den Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung, weil die „Diskussion über die Gestaltung des Denkmals und seine Errichtung das für eine Nation unerlässliche Geschichtsbewusstsein“ förderten. Von wegen! Eine öffentliche Debatte um das Ob und Wie und Wo fand nicht statt. Hier wie beim Wiederaufbau des Schlosses sollte ein Bundestagsbeschluss vollstreckt werden, den Lobbygruppen herbeigeführt hatten. Der offene Wettbewerb sollte die Diskussion ersetzen, Leidtragende sind die wohlmeinenden Teilnehmer, die allesamt verloren haben.

Jetzt sollte es darum gehen, zu fragen, ob wir ein Monument als Kranzabwurfstelle in Berlin überhaupt brauchen. Das beste Einheitsdenkmal ist schließlich die Stadt selbst: jede Straße, jede U-Bahn, die wieder von Ost nach West führt, die neuen Regierungsbauten, der Reichstag, das Brandenburger Tor. Wer in Berlin nicht täglich an die Teilung und ihre Überwindung erinnert wird, muss taub und blind für die Zeichen der Geschichte sein. Nur ein Entwurf, der über all das hinausgeht, wäre es wert, verwirklicht zu werden. Aber damit eilt es wirklich nicht.

Ihr Tim Sommer