Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

an die Unübersichtlichkeit sind wir längst gewöhnt: Die Kultur versammelt sich nicht mehr um die großen Lagerfeuer einzelner Leitideen, die uns für ganze Jahrhunderte, später noch für Jahrzehnte kompakte und gut handhabbare Stiiperioden verschafften. Das gilt für die Kunst genauso wie für das Design, dem die Redaktion, erstmalig in der art-Geschichte, ein ganzes Themenheft widmet. Und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass unsere Umfrage nach den zehn bedeutendsten Gestaltern der Gegenwart (siehe Bericht ab Seite 18) wirklich so gar keinen gemeinsamen Stil, ja nicht einmal eine Tendenz erkennen lässt. Dass die Bandbreite der Ansätze so groß ausgefallen ist, liegt ein wenig aber auch am Verfahren: Statt die Jury in einem Raum über das Ergebnis streiten zu lassen, was gewöhnlich zu hart erkämpftem Konsens und mithin zu Kompromissen führt, haben wir sieben führende Designexperten quasi anonym befragt. Zunächst hat jeder getrennt zehn Gestalter seiner Wahl nominiert, dann haben wir die komplette Liste wieder allen zugeschickt, nun konnte jeder frei noch einmal 20 Punkte verteilen.

Im Ergebnis steht nun die neobarocke Ornamentvirtuosin Hella Jongerius neben dem kompromisslos kühlen Minimalisten Naoto Fukasawa, der exzentrische Kurvenprediger Luigi Colani neben dem Hohepriester der begradigten Form Dieter Rams und Philippe Starck, der Meister aller Klassen, neben Walter Van Beirendonck, dem wilden Modedesigner aus Belgien. So bunt das Bild ist, das sich so ergibt, so genau trifft es die disparate Wirklichkeit des Designs heute: zwischen Großserie und Unikat, zwischen ökologischem Gewissen und Globalisierungszwängen, zwischen vielfältigen Anknüpfungen an die Moderne und der neugierigen Suche nach Inspirationen aus Geschichte und Weltkultur.

Schauplatz des art-Fotoshootings: die Pinakothek der Moderne, hier ein Blick in die Neue Sammlung

Gewonnen aber hat Konstantin Grcic. Der Münchner Designer hat die meisten Punkte und die Voten der meisten Jurymitglieder auf sich versammelt. Und das, obwohl er selbst Mitglied der Jury war - sich also selbst keine Punkte geben konnte.

Vielleicht verbindet sich mit der Arbeit von Grcic (siehe Interview auf Seite 30) ja doch die Hoffnung auf eine neue Richtung, eine neue Ethik für die Gestaltung: Denn Grcic ist weder Stylist noch Weltverbesserer, sondern ein begnadeter - und mutiger - Entwerfer alter Schule, den die genaue Analyse alter Problemstellungen immer wieder zu klugen neuen, ganz prägnanten Lösungen führt. Vielleicht sind seine Möbel - vor allem sein Gitterstuhl „Chair One“ gerade deshalb bei Künstlern so beliebt.