Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

Ende April verkündete Kulturstaatsminister Bernd Neumann en passant, es sei ein Hauptwerk von Andy Warhol für Berlin erworben worden. Nur leider stellte sich heraus, dass es der „Big Electric Chair“ war, der bereits als Teil der Sammlung Erich Marx im Hamburger Bahnhof hängt. Wer weiß, ob die Öffentlichkeit ohne Neumanns Plauderei jemals von diesem seltsamen Deal erfahren hätte, der ein Schlaglicht auf das prekäre Verhältnis von öffentlichen Museen und Privatsammlern wirft. 5,5 Millionen Euro, so die unbestätigte Summe, soll der Bauunternehmer Erich Marx für das Bild bekommen haben, zwei Millionen kamen aus Lottomitteln, den Rest hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus dem eigenen, mageren Ankaufsetat beigesteuert, um das Werk im Haus und den Sammler bei Laune zu halten.

Seit 1996 unterhält die Preußenstiftung den eigens für die Sammlung Marx zum „Museum der Gegenwart“ hergerichteten Hamburger Bahnhof. Ohne die bedeutenden Werkblöcke von Joseph Beuys, Anselm Kiefer oder etwa Warhol aus der geliehenen Privatsammlung hätten die Berliner Museen für die Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unmöglich das Niveau halten können, auf dem sie für andere Epochen und Kulturen stehen. Die Sammlung Marzona, 2002 erworben, assistiert den Marxschen Werken, ebenso wie die seit 2004 in den Rieckhallen präsentierte Sammlung Flick. Peter-Klaus Schuster, der Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin, gilt denn auch als „Sammler der Sammlungen“, statt selber in den Ateliers nach den Bildern zu fahnden. So wird in Berlin - wie in vielen anderen Städten in Deutschland - die Abhängigkeit von den Privatsammlern ohne Not ständig verschärft und wenig für die Ewigkeit gewonnen. Immerhin wurde nun der geheime Leihvertrag zwischen Marx und der Preußen Stiftung neu verhandelt, ein unveräußerlicher Kernbestand von 41 Werken mit einem Versicherungswert von 150 Millionen Euro soll festgeschrieben worden sein.

Anders als für die Kunst der Moderne, wo die Lücken im Bestand auf die Plünderungen zur Zeit des Nationalsozialismus zurückgehen, sind die Defizite in der Beständen der Zeitgenössischen Abteilung durch Versäumnis (und oft auch Feigheit) in den letzten Jahrzehnten selbst verschuldet worden. Die 5,5 Millionen Euro, die jetzt für einen einzigen Warhol ausgeben werden, hätten, im letzten Jahrzehnt klug eingesetzt, eine Sammlung finanziert, die die ganze Entwicklung der jungen Kunst in Deutschland seit der Wiedervereinigung schlüssig dokumentiert hätte. Man hätte dafür, wache Sinne und Entschlusskraft vorausgesetzt, säleweise Gursky, Rauch, Demand, Scheibitz und Meese kaufen können - auch noch, als diese Künstler längst dem Stadium des Geheimtipps entwachsen waren. Insofern ist es auch wenig tröstlich, wenn jetzt Erich Marx die frisch erlöste Warhol-Summe über eine Stiftung in den Ankauf junger Kunst investieren will, „um die Substanz der Sammlung in die Zukunft auszurichten“. Selbst wenn diese Werke dann im Hamburger Bahnhof hängen, bleiben Sie doch Privateigentum. Von einer Schenkung hält Marx, wer will es ihm verdenken, bis heute nichts: „Ich möchte das Bewusstsein behalten, die Bilder gehören mir.“ Seltsam nur, dass Museumsdirektoren so ganz anders ticken.