Geballtes Engagement – oder Monokultur der Beflissenheit?
Geballtes Engagement – oder Monokultur der Beflissenheit?
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LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
zwei Künstlerinnen, drei Künstler – und damit gleich fünf aktuelle Spielarten politischer Kunst versammeln wir in diesem Heft. Geplant war diese Ballung von Engagement nicht, aber sie zeigt doch, wie sich Erwartungshaltung und Suchraster der Szene in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. Als Erró, heute 90 Jahre alt, in den Siebzigern mit seinen frivolen Mao-Propaganda-Adaptionen zum isländischen Enfant terrible der Pop Art wurde, mag die Kunstwelt viel offener für Spiel und Ironie gewesen sein, aber solche Bezüge zum aktuellen Politgeschehen waren noch der Sonderfall und nicht die Regel. Der Argentinier Gabriel Chaile, geboren 1985, machte mit seinen poetisch-hintergründigen Lehmskulpturen in den letzten Jahren eine internationale Blitzkarriere, passt er doch fast zu gut ins aktuelle Schema der Kunst zum guten Zweck: Er nutzt volkstümliche Techniken und indigene Formen, um Leben und Überleben am unteren sozialen Rand zu thematisieren. Die US-Amerikanerin Jenny Holzer nahm in den neunziger Jahren mit verwirrenden Binsenweisheiten Donald Trumps Twitterterror vorweg – und blieb trotz ihrer visionären Arbeit, ihrem Witz und ihrer Innovationskraft lange eine Insiderkünstlerin. Der Brite Isaac Julien hatte in den nuller Jahren mit seinen ausgefeilten Mehrkanal-Videoinstallationen über Rassismus und Homophobie eine Zeit lang einen schweren Stand – wie auch die Kolumbianerin Doris Salcedo mit ihren ergreifenden Arbeiten über Gewalt und Erniedrigung.
So verschlungen die Wege, so unterschiedlich lange der Anlauf der einzelnen Generationen: Heute stehen alle fünf auf dem Höhepunkt der Aufmerksamkeit, sind omnipräsent in Einzelausstellungen und Überblicksschauen – wo man im Gegenzug immer seltener Arbeiten entdeckt, deren Engagement ganz l’art pour l’art nur formalen Aspekten, individuellen Obsessionen oder inneren Kämpfen gewidmet ist.
Das kann man zu Recht bedauern. Aber wer behauptet, dass damit die Schönheit dahingegangen und eine Monokultur der Beflissenheit entstanden sei, liegt falsch. Jedes der fünf Werke wurzelt tief in der Kunstgeschichte, ist auf die Spitze getrieben und scharf geschliffen. Sie sind politisch lesbar, suchen Zugriff auf die Welt – und sind zugleich von großer künstlerischer Brisanz.
PS: Die wohl berührendste Geschichte in diesem Heft hat unsere Wien-Korrespondentin Almuth Spiegler geschrieben – lesen Sie über das Schicksal der Bauhäuslerin Friedl Dicker-Brandeis ab Seite 58.