Eine kleine Typologie der Länderpavillons
Eine kleine Typologie der Länderpavillons
TIM SOMMER, CHEFREDAKTEUR3
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
eine herrliche Vorstellung: Vor der Biennale zerbrechen sich 85 Kuratoren den Kopf, wie sie ihrem Land in Venedig einen guten Auftritt verschaffen. Neben der großen Ausstellung, zahllosen kleineren und allen 84 anderen Ländern muss sich der eigene Pavillon behaupten – und auch noch daheim auf Akzeptanz stoßen. Um im Kampfgetümmel ein wenig Klarheit zu schaffen, hier der Versuch einer kleinen Typologie der ewigen Lösungsansätze:
Die Thesenschau: Der Landeskurator spielt DOCUMENTA und versucht, mit einer Handvoll Künstlern theoretische oder wirkliche Probleme zu beackern. Also Bildhaftigkeit im digitalen Zeitalter oder Migration – oder doch gleich beides. Meist viel zu ambitioniert für den flanierenden Besucher, der nichts versteht und weitergeht.
Die Mini-Retrospektive: Wird meist betagten Künstlern des Landes gegönnt, die man bislang übergangen hat. Gelingt selten, weil der Künstler vor lauter Aufregung angesichts des späten Bedeutungsschubs noch dieses und jenes unterbringen will und sich kein Kurator findet, der ihn noch bremsen kann.
Die Nationalversammlung: Sieben Künstler aus Usbekistan, fünf aus Uganda, aber auch 17 Chinesen oder 34 Italiener können einen Pavillon zur Tortur machen. Die Kuratoren wollen die Vielfalt und Modernität der heimischen Szene transportieren und bieten doch nur einen Flohmarkt der Eitelkeiten.
Pas de deux: Weil sich der Kurator nicht für einen Künstler entscheiden kann, nominiert er kurzerhand zwei und erfindet irgendeinen Zusammenhang. Kommt erstaunlich oft vor, dabei ist das Konzept zum Scheitern verurteilt. Obwohl die Künstler meist wie Gladiatoren aufeinander losgehen, werden sie von den Besuchern in der Regel als nur einer wahrgenommen, der noch in der Findungsphase ist.
Solo I, das dicke Ding: Ein Künstler, ein Haus, eine große Arbeit, die im Gedächtnis bleibt – das ist und bleibt der Königsweg zu einem gelungenen Pavillon.
Solo II, Galerieschau: Hier fehlt dem Künstler die große Idee, und er entscheidet sich, alles so zu machen, wie er es in seiner Galerie auch tun würde. Neue Werkserie, dazu ein paar Zeichnungen. Meist die zweitbeste Lösung.
Wir haben in diesem Heft schon mal vorsortiert, was Sie sich in Venedig unbedingt anschauen sollten. Aber das Prinzip der BIENNALE ist ja: entdecken, erleben, lästern, bewundern, so weit die Füße tragen, so lang das Hirn noch aufnimmt und bis die Augen flackern. Es wird wieder wunderbar!
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Thesenschu -

Mini-Retrospektive -

Nationalversammlung -

Pas de deux -

Solo I, das dicke Ding -

Solo II, Galerieschau
Im Uhrzeigersinn: Deutschland, 2015; Niederlande, 2015; Deutschland, 2005; Großbritannien, 2015; Belgien, 2013; Italien, 2011
PS:
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