Die neoliberalen Schrebergärtner

Die neoliberalen Schrebergärtner

Tim Sommer, Chefredakteur

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Liebe Leserin, lieber Leser,

was ist das für eine Geisterdebatte, die mit dem Buch „Der Kulturinfarkt“ losgetreten wurde! Pius Knüsel, Dieter Haselbach, Armin Klein und Stephan Opitz diagnostizieren, nimmt man den Titel ihrer Streitschrift wörtlich, ein Absterben des Kulturgewebes, hervorgerufen durch mangelnde Durchblutung. Sie meinen damit nicht die generelle Unterversorgung mit finanziellen Sauerstoff – insofern klappern schon hier die Metaphern – als vielmehr eine Überversorgung mit kulturellen Institutionen, die wiederum lethargisch dahin-und am Publikum vorbeivegetieren. Man solle, so schlagen die Autoren vor, die Zahl der Opern, Theater, Bibliotheken und Museen halbieren, das Geld umverteilen, Wettbewerb und betriebswirtschaftliches Denken implantieren, dann würde sich alles zum Guten wenden. Oder doch zu dem, was das Quartett für gut befindet: Etwa soll mit dem freigesetzten Geld eine „Kulturindustrie“ entstehen, die „nationale und globale Ambitionen vereint“. Ihre komische Definition: „Sie ist Herstellung und Vertrieb von ästhetischen Erlebnissen in Warenform mit dem Willen zum Erfolg.“

Das neoliberale Kauderwelsch vom Ende der „Kultur für Alle“ ist ignorant – und ebenso dumm wie gefährlich. Hier wird die darwinistische Taktik des Schrebergartens für die Kulturlandschaft missbraucht: mit dem beherzten Zurückschneiden den Apfelbaum wieder zum Tragen zu bringen, die dicke Möhre erzeugen, indem man jedes zweite Pflänzchen rupft. Das ist schon deshalb Unsinn, weil niemand im föderalen Deutschland entscheiden könnte, welche Institution nun Lebensrecht besitzen sollte und welche nicht. Und anders als beim Möhrenbeet kann man den Ertrag von Museumsmeilen nicht messen. Weder Besucherzahl noch Refinanzierungsquote wäre tauglich, etwas über die Qualität von Institutionen auszusagen, deren Wirkung kurzfristig auf den Einzelnen, langfristig aber auf Bewusstseinsbildung zielt. Nun wird keiner behaupten, alles sei in Ordnung im staatlich getragenen Kulturbetrieb. Aber die gewachsene Vielfalt der Institutionen hier ist ein Wert an sich, der wächst, je weniger Gemeinsamkeiten wir sonst aufbringen. Oder eben ein „Standortvorteil“, wenn man es denn so sehen will.

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