Ein geschicktes Stück westlicher Propaganda
Ein geschicktes Stück westlicher Propaganda
Tim Sommer, Chefredakteur
Liebe Leserin, lieber Leser,
kaum war der Staatsakt zur Eröffnung der deutschen Schau „Die Kunst der Aufklärung“ (art 4/2011) im neuen chinesischen Nationalmuseum vorüber, wurde Ai Weiwei wegen angeblicher „Wirtschaftsverbrechen“ am Flughafen von Peking festgenommen und verschleppt. Bis zum Redaktionsschluss blieb unklar, wohin der im Ausland bekannteste chinesische Künstler gebracht, was ihm genau vorgeworfen, ob er zum wiederholten Mal misshandelt worden war. Auch konnte man nur mutmaßen, ob dieses zeitliche Zusammentreffen ein bewusster Affront, ein Zufall der Behördenwillkür oder nur ein Indiz für das schlichte Desinteresse der chinesischen Führung an ihrer Außenwirkung war.
Man tut gut daran, nicht das eine Ereignis an dem anderen zu messen, wie es das Feuilleton weitgehend getan hat. Als Beweis dafür, dass China ein Unrechtsstaat ist, hätte es der Verhaftung von Ai nicht bedurft, der kurz zuvor verkündet hatte, ein Zweitatelier in Berlin zu eröffnen, weil ihm die Arbeit in China immer schwerer gemacht wurde. Sein Studio in Shanghai war bereits zerstört, er selbst immer stärker drangsaliert worden. Den Mund hatte er sich dadurch nicht verbieten lassen. Dass ihn vor der Festnahme Anfang April auch seine Prominenz nicht mehr schützen konnte, zeigt die Ignoranz und die Rücksichtslosigkeit, die nach dem Tauwetter der Olympischen Spiele wieder ungehemmt wüten. Weniger bekannte Künstler und Dissidenten sind vorher verschwunden, oft, ohne dass es internationale Proteste gab.
Aber heißt das, dass es falsch war, die Ideen der europäischen Aufklärung an den Tiananmen-Platz zu lotsen, als hochoffiziellen Akt der deutsch-chinesischen Diplomatie? Verweigerung kann nicht die Lösung sein. Wen sollte ein Kulturboykott auch jucken, wenn zeitgleich das Import-Export-Geschäft boomt? Und würde er Ai und seinen Mitstreitern nützen? Man muss beides tun: Willkür öffentlich machen und anprangern, gleichzeitig aber geduldig, stetig und schlau die Idee der Freiheit in China unterstützen. In diesem Sinn ist die leichtfertig belächelte und vorschnell verdammte „Kunst der Aufklärung“ mit ihren schönen Gemälden und historischen Instrumenten bestimmt kein Fanal der Menschenrechte, aber vielleicht langfristig ein geschicktes Stück westlicher Propaganda. Das Exil, hat der standhafte Ai Weiwei kurz vor seiner Verhaftung gesagt, „ist das Letzte, was ich will“.
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Blick in die Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ in Peking, unten der Künstler Ai Weiwei, der kurz nach der Eröffnung verschleppt wurde