Liebe Leserin, lieber Leser,

Liebe Leserin, lieber Leser,

Tim Sommer, Chefredakteur

schon die beiden Teile des Begriffs scheinen nicht zusammenzupassen: Erst kommt das elitäre, schillernde Wunderwort „Kunst“, dann folgt der „Verein“, der Bierdunst mit sich zieht und an biedere Kassenwarte denken lässt Und doch ist sicher: Die ganze Welt beneidet Deutschland um seine Kunstvereine. Nirgends sonst gibt es ein vergleichbares Netz von Ausstellungsräumen, die weitgehend frei von Renditezwängen und staatlicher Einflussnahme kulturelle Basisarbeit leisten. Über 250 Kunstvereine sind im Dachverband ADKV organisiert, gut 120000 Mitglieder engagieren sich hier, organisieren Ausstellungen und Reisen, debattieren, lauschen Vorträgen und lancieren Editionen. In dieser Ausgabe (ab Seite 28) unterziehen wir dieses deutsche Sondermodell bürgerschaftlicher Selbstorganisation einer aktuellen Diagnose. art-Redakteurin Mirja Rosenau hat dazu landesweit recherchiert, die Fotografen Tinka Dietz und Frank Dietz haben exemplarische Kunstvereine besucht und Szenen eingefangen, die die ganze Vielfalt zeigen: vom urbanen, jungen Club „Kunstverein St Pauli“ auf der Hamburger Reeperbahn über den ehrwürdigen „Kunstverein in Bremen“ bis zu den „Freunden Aktueller Kunst“ im sächsischen Zwickau, die sich regelmäßig beim Chinesen treffen und so kenntnisreich und ernsthaft über Bilder streiten, dass es die Hamburger Fotografin nachhaltig beeindruckt hat Gerade hier im Osten, wo aktuelle Kunstformen oft wirklich noch gegen Widerstände durchgesetzt werden müssen, herrscht echter Kampfgeist für die Avantgarde, während im Westen junge Kuratoren manchmal arg unter ihren saturierten Vorständen zu leiden haben. Aber diskutiert wird überall – und das ist die große Stärke des bürgerlichen Kunstvereins: Hier erobert und erarbeitet sich das Publikum die Kunst. Das unterscheidet den Kunstverein vom Museum, wo der Direktor eigentlich nur seinem Dienstherrn Rechenschaft schuldet, und von der Galerie, die nur eine Handvoll Sammler überzeugen muss.

Genau diese beiden Institutionen nehmen den klassischen Kunstverein aber auch zunehmend in die Klemme. Kommerzielle Galerien glänzen heute oft mit professionell kuratierten, museumsreifen Ausstellungen. Und die Museen haben die junge Kunst für sich entdeckt, die lange die Domäne der Vereine war.

Das ist kein Zufall und keine Modeerscheinung. Die Entdeckung des Zeitgenössischen hat den Museen ein ganz neues Publikum erschlossen und erlaubt es ihnen, Allianzen mit Sammlern und Galeristen zu schmieden, die wieder aktuelle Werke in die Sammlungen bringen. Auch Kunstvereine werden gerne einmal von Galeristen gekapert die hier ihren Künstlern erste institutionelle Ausstellungen verschaffen wollen. Dagegen ist im Einzelfall nichts zu sagen. Aber die wirkliche Chance des Kunstvereins liegt im Experiment auf offener Bühne, im Erproben ungesicherter Positionen ganz ohne Schielen auf den Markt Chus Martinez, die seit 2006 Direktorin des Frankfurter Kunstvereins ist schwärmt von einem „Laboratorium, in dem man das kritische Denken üben kann“.

Uns erscheinen die Kunstvereine längst als eine Selbstverständlichkeit. Die Spanierin sieht das Besondere: „Stell dir Deutschland ohne Kunstvereine vor! Was bleibt, ist mehr oder weniger Official Culture.“