Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

knapp ein Jahr ist es her, da gab es den letzen Skandal um den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Erich Marx. Damals hatte der Bauunternehmer Andy Warhols Hauptwerk „Big Electric Chair“ von 1967 für geschätzte 5,5 Millionen Euro verkauft - an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in deren Räumen das Bild schon seit der Eröffnung 1996 hing. Marx gab das Geld in eine Stiftung zum Ankauf junger Kunst - bitter nötig für das angestaubte „Museum der Gegenwart“, das sich mit seinen gediegenen Beständen von Joseph Beuys bis Anselm Kiefer längst vom Zug der Avantgarde abgekoppelt hatte.

Für 5,5 Millionen, das war schon damals klar, hätte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aber auch selbst aktuelle Kunst kaufen können, die ihr - und damit der Öffentlichkeit - wirklich und auf Dauer gehört hätten. Nun hängen schöne Blöcke mit neuen Bildern von Eberhard Havekost und Zbigniew Rogalski im Haus - wieder als Leihgabe der Sammlung Marx.

Eigentlich ist es verwunderlich, dass der Rücktritt von Heiner Bastian, der als Kurator die gesammelten Werke von Marx im Hamburger Bahnhof vertreten hat, jetzt solche Wellen schlug. Alle Vorwürfe an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre Manager Klaus-Dieter Lehmann und Peter-Klaus Schuster lagen längst auf dem Tisch: Nicht nur der rechtzeitige Ankauf zeitgenössischer Kunst wurde versäumt, auch bekam die Berliner Szene weder im Hamburger Bahnhof noch in der Neuen Nationalgalerie ein Forum. Wirkliche Brisanz erhielten die Anwürfe erst vor dem Hintergrund zu Ende gehender Karrieren: Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann scheidet im nächsten Jahr aus dem Amt, Peter-Klaus Schuster macht sich zwar noch Hoffnung, auch unter einem neuen Präsidenten als Generaldirektor die Museen weiter zu regieren - aber daraus wird wohl kaum mehr etwas werden.

Ein Neuanfang ist nötig. Berlin könnte zum Modellfall werden, wie sich eine Stadt aus der Umklammerung übermächtiger Sammler löst und Handlungsfreiheit gewinnt. Bastian fordert im art-lnterview (ab Seite 110) einen Kodex, in dem die Museen endlich ihren Umgang mit privaten Sammlern regeln. „Am Ende“, so Bastians Forderung, „muss für die Öffentlichkeit ein Gewinn entstehen. Sonst sind diese Partnerschaften sinnlos, weil man immer wieder neu für sie bezahlen muss.“ Auch für den Kurator/Händler/Sammler Bastian kommt die Erkenntnis spät, viel zu lange hat er dem Gewurstel im Hamburger Bahnhof zugesehen, wo zwar neue Sammlungen (Marzona, Flick) akquiriert, aber nie ein funktionierendes Museum der Gegenwart aufgebaut wurde: mit einem ordentlichen Etat und einem handlungsfähigen Direktor, der für Programm und Ankäufe des Hauses verantwortlich ist Ankündigungen und Dementis wechseln sich ab - ob Marx nach dem großen Krach seine Werke wirklich auf immer in Berlin lässt, wird sich zeigen. Allerdings wird Bastian in seinem heiligen Zorn auch als Ex-Kurator mitbestimmen: Er und Marx haben die Gärten ihrer Dahlemer Villen zusammengelegt, da lässt sich alles gut besprechen. Wichtig ist jetzt, dass der Hamburger Bahnhof Platz bekommt, um die Klassiker der Sammlung Marx durch junge Kunst zu belüften, ohne ihre Aura zu stören. Der zweite, westliche Ausstellungsflügel muss endlich gebaut werden, der von Anfang an zu den Planungen von Josef Paul Kleihues gehörte, um eine Spielfläche für wirklich junge Kunst zu gewinnen. Dann erübrigt sich vielleicht die Diskussion um eine Berliner Kunsthalle. Denn eines hat die Stadt der drei Opernhäuser bestimmt nicht nötig: ein weiteres Institut für Kunstbeamte.