Liebe Leserin, lieber Leser,

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Tim Sommer, Chefredakteur

dies ist die wohl letzte Chance, sich zum Thema Fußball zu äußern, bevor das ganze Land – und mit ihm der Kunstbetrieb – im Taumel versinkt. Auch dieses Magazin hat sich mit den Wechselwirkungen von Kunst und Kicken beschäftigt, als im letzten Herbst in Berlin die Ausstellung „Rundlederweiten“ im Martin-Gropius-Bau stattfand (art 10/2005), auch wir bieten (auf Seite 48) die schönen Blätter der FIFA-Posteredition an, die damals vorgestellt wurde. Es waren unschuldige Anfänge. Wer hätte damals geahnt, wie wenig der deutsche Museumsbetrieb, wie wenig die deutschen Kulturämter der Beschwörungskraft des Fußballs entgegenzusetzen haben?

Nehmen wir die schöne alte Stadt Nürnberg. Kulturreferentin Prof. Julia Lehner verkündete hier schneidig das gedankentiefe Jahresmotto „In Nürnberg kickt die Kultur!“ Durch die Gassen der Dürerstadt zieht sich nun unter dem Kalauertitel „Das große Rasenstück“ ein Parcours von Kunstwerken mit Ballbezug. Das Germanische Nationalmuseum fragt beflissen „Was ist deutsch?“, um die etwa aufbrandende Begeisterung historisch zu hinterfragen. Und am 27. Mai werden 45 Museen und Kultureinrichtungen zum Großereignis „Die Blaue Ball Nacht“ antreten. Nürnberg ist überall: Hamburg bepflastert sich mit mindestens 100 riesigen, leuchtenden Toren. Halle/Saale ruft alle Kunststudenten zur Schau „Kunstrasen2006. Ersatzbank der Gefühle“, der Berliner Fernsehturm wird zum durchbohrten Fußball umgestaltet, Rosenthal brennt Schüsseln in Stadionform …

Crackerschüsseln in Stadionform: Auch die Firma Rosenthal (Werbeslogan „Designkompetenz seit 1879“) leistet ihren Kulturbeitrag zur Fußball-WM

Es gibt kein Entrinnen, da muss man nun durch. Spannend wird die Frage, ob die gemeinsame Anstrengung aller Kulturschaffenden, dem armen, unschuldigen Ballspiel auch noch die letzten Bedeutungstropfen abzuringen, auch nur ein Kunstwerk von ähnlicher Dauer und Prägnanz hervorbringt, wie Ingeborg Lüschers Videoarbeit „Fusion“ aus dem WM-freien Jahr 2001 (siehe Bericht ab Seite 50). Falls es dazu kommt, werden wir darüber berichten. Ansonsten verspreche ich Ihnen für die Zeit der WM: art erscheint fußballfrei.

Ab dieser Ausgabe (Seite 124) wird art verstärkt aus dem Kunstmarkt berichten: Im Journal gibt es künftig zwei Seiten über neue Trends, spektakuläre Auktionen des Monats, die Macher hinter den Zahlen – und die Krimis, die der Kunsthandel schreibt.