Liebe Leserin, lieber Leser,
Liebe Leserin, lieber Leser,

Kunstgeschichte ist ein schönes Fach, so angenehm ungefährlich. Aber sobald die Geschichte selbst in der Kunst aufscheint, wird es regelmäßig brenzlig. Unangenehme Wahrheiten können ans Licht kommen, wenn wir in den überlieferten Werken nach den Ideen und Anschauungen unserer Vorfahren fahnden. Judenfeindlichkeit etwa durchzieht die christliche Kunst des gesamten Mittelalters und bringt die Kirche heute in Erklärungsnot. Der Münchner Künstler Wolfram Kastner hält sich viel auf seine aufklärerische Mission zu Gute. Er jagt die steinernen „Judensäue“, die sich an und in mittelalterlichen Gemäuern erhalten haben. Das schauderhafte Schmähmotiv ist noch immer häufig im deutschen Sprachraum. Im Chorgestühl des Kölner Domes, am Burgtor im fränkischen Cadolzburg, in Wittenberg, Lemgo, Xanten, Wimpfen, Erfurt, Colmar und an mindestens 19 weiteren Orten haben sich die perfiden Darstellungen erhalten: Juden, kenntlich durch die Trichterhüte oder „Judenringe“, die sie ab 1215 nach den Bestimmungen des Laterankonzils von Papst Innozenz III. zu tragen hatten, saugen an den Zitzen einer Sau. An der Wittenberger Stadtkirche wollte Martin Luther gar erkannt haben, dass ein Jude den Namen Gottes im Anus eines Schweines liest. Hier hat sich vorbereitet, was nach Auschwitz führte.

In Köln hatte Kastner gefordert, die Skulptur aus dem Chorgestühl zu sägen, in Cadolzburg sprayte er 2003 „Judensau“ auf Pflaster, in Regensburg kam er im Spätsommer 2004 nur bis zum „J“, dann schritt die Polizei ein.
Auch wenn Kästner keineswegs die infamen Schmähskulpturen wiederentdeckt hat: Seine Krawallaktionen haben Erfolg. Nach Cadolzburg bekam nun auch die „Judensau“ von Regensburg nach 650 Jahren ihre Erklärungstafel: „Die Skulptur als steinernes Zeugnis einer vergangenen Epoche muss im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden. Sie ist in ihrem antijüdischen Aussagegehalt für den heutigen Betrachter befremdlich.“
Ob solche mustergültigen Konsensformeln dem ratsuchenden Zeitgenossen wirklich hilfreich sind, sei dahingestellt. Als Lesehilfe können sie wirken. Kommenden Generationen geben sie gewiss ein treues Bild unserer sprachmächtigen Epoche. Bloß: Kommen danach die diffamierenden Allegorien der „Synagoge“ an die Reihe? Dann die hakennasigen Folterknechte aus der Christuspassion? Dann all die schlimmen Pharisäer? Dann die antipäpstlichen oder die gegenreformatorischen Ausfälle? Die geschichtlichen Hintergründe solcher Kunstmotive kennen heute nur noch Fachleute.
Hoffentlich wissen die Kunsttexter aller Konfessionen, wann ihre Mission erfüllt ist. Sonst gnade unseren Kirchen vor den Segnungen der Political Correctness.