Beuys wird hundert? Kein Alter für einen Unsterblichen!
Beuys wird hundert? Kein Alter für einen Unsterblichen!
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
zu Joseph Beuys hat jede und jeder eine eigene Geschichte, diejenigen zumal, die ihn noch erlebt haben bei seinen Performances, Boxkämpfen, Talkshows. Kein Künstler in Deutschland hat je auch nur annähernd so polarisiert, so breit und so tief gewirkt. Ich, Jahrgang 1968 und aus dem Osten, bin schon ein nachgeborener Betrachter und dazu einer von der Seitenlinie. Ich hatte 1988 die Ausstellung mit frühen Zeichnungen in Leipzig gesehen, ein Politikum damals in der DDR - aber mich haben die zarten Elche und die harten Kreuze auf den armen, ausgerissenen Blättern ganz unmittelbar berührt. Später gab es Phasen, da war mir der Hut-und-Westen-Schamane ziemlich egal, eine Kunstgeschichtsgröße ohne viel emotionalen Mehrwert. Ich weiß nicht, an wie vielen Hirschdenkmälern, Vitrinen und Talgbrocken ich zwischenzeitlich halb achtlos vorbeigeschlendert bin. Ich hätte wohl denen zugestimmt, die sagten, mit Beuys seien auch seine Werke gestorben. Bis ich dann im Münchner Lenbachaus an zeige deine Wunde geraten bin. Die Installation hat mich wie ein Stromschlag getroffen, ich hätte heulen können. Mir war, als sei ich dem ganzen Schmerz der Welt begegnet. Der beuyssche Humor ist mir noch später aufgegangen, als ich sah, wie The pack (das Rudel) im Original aus seinem VW-Bully purzelt. Und zuletzt, anlässlich der unsäglichen Debatte um den ewigen Hitlerjungen, ist mir klar geworden, wie heldenhaft dieses Künstlerleben der Selbstbefreiung und Publikumsentzündung wirklich war.
Wir widmen Joseph Beuys zum 100. Geburtstag dieses ganze Heft. Natürlich hat er die ART-Geschichte schon permanent begleitet, auch wenn er beim Interview mit Eva Beuys in der Erstausgabe vom Herbst 1979 (wieder zu lesen ab Seite 78) ausnahmsweise Redeverbot hatte. Hier geht es uns aber um eine aktuelle Perspektive auf den Menschen und Künstler Beuys: Wir wollen ihn uns wieder zurückholen, denn wir brauchen seine Wucht, seine Energie, sein Träumen, seinen Witz, seinen Eigensinn für den Gemeinsinn jetzt nötiger denn je!
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Zu Lebzeiten war Joseph Beuys so umlagert und umstritten wie keiner. Heute, ohne ihn, wirken seine Werke wie »zeige deine Wunde« von 1976 im Münchner Lenbachhaus vielleicht etwas steril. Aber sie tragen eine immense, aufstörende Kraft in sich, die immer noch wirkt -
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ART-Cover aus den Jahren 1983 und 2010: Beuys von Gottfried Helnwein (oben) und Andy Warhol
PS:
Wir hoffen, dass die vielen »Beuys2021«-Ausstellungen zum Jubiläum (Service ab Seite 100) so stattfinden können. Zur Sicherheit haben wir auch die großen ständigen Installationen für Sie zusammengetragen.